Treffen der Puristen
Der «Carrera» ist der Einstieg in die 911er-Welt bei Porsche – und bietet bereits ein beeindruckendes Fahrerlebnis. Kann der 911 GT3 Touring seinen deutlich höheren Preis trotzdem rechtfertigen?
Der Porsche 911 ist längst eine Legende in der Autowelt – und für viele ein Traum. Die Erfüllung dieses Traums kostet als Neuwagen mindestens 133 200 Franken für das 911-Carrera-Coupé. Seit dem ersten Modell von 1963 hat sich der «Elfer» stetig gewandelt. Er wurde grösser und schwerer, geräumiger und komfortabler – und natürlich stärker und schneller. Zudem wurde das Angebot um zahlreiche Varianten erweitert, Cabrios, Allradantrieb, Automatikgetriebe und Assistenzsysteme hielten Einzug. Für eingefleischte Fans, die den 911 als kompromissloses Sportgerät sehen, ist diese Entwicklung eher ein Dorn im Auge. Der Grundidee 911 kommt also vielleicht ausgerechnet das Basismodell am nächsten.
Zwar steckt auch der Carrera in der im Vergleich zum Urmodell deutlich gewachsenen Karosserie – doch ist er für heutige Massstäbe weiterhin ein kompaktes Auto. Mit einem Leergewicht von 1505 kg ist die inzwischen achte Modellgeneration zwar rund 400 kg schwerer als der Urahn, aber eben weiterhin deutlich leichter als die meisten anderen Versionen im Portfolio. Angetrieben wird der Basis-Elfer von einem Sechszylinder-Boxermotor. Inzwischen mit drei Litern Hubraum und doppelter Turboaufladung. Daraus entstehen 385 PS und 450 Nm Drehmoment, welche per 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe an die Hinterräder gelangen.
Schon nach wenigen Metern im Basis-911 steht fest: Mehr Leistung braucht man auch in einem Sportwagen für die Strasse nicht. Bei Bedarf beschleunigt das Coupé in nur vier Sekunden auf 100 km/h und wirkt jederzeit angenehm flink und leichtfüssig. Das liegt einerseits an der gleichmässigen Leistungsentfaltung des Turbomotors, aber auch am sauber und schnell schaltenden Getriebe. Damit bietet der Carrera das Fahrgefühl, das man von einem Porsche 911 erwartet. Noch eindrücklicher ist, wie gut sich der Sportwagen im Alltag macht: Er rollt komfortabel ab, bietet für zwei Personen viel Platz und Stauraum und ist auch auf längeren Strecken ein bequemer Begleiter; nur auf schlechtem Asphalt fallen die hohen Abrollgeräusche auf. Vor allem gibt sich der Sportwagen erstaunlich wirtschaftlich: Laut Werk verbraucht er 10,3 l/100 km. Im Schweizer Strassenalltag war es deutlich weniger. Im Testschnitt landete der 2+2-Sitzer bei 8,0 l/100 km; bei sparsamer Fahrweise sind auf Autobahn und Landstrasse gar 7 l/100 km und weniger möglich. In Kombination mit dem optionalen 90-Liter-Tank beschert das dem Sportwagen eine Reichweite, wie man sie eigentlich nur von sparsamen Diesel-Limousinen kennt.
Weshalb mehr ausgeben?
Das rundum talentierte Basismodell lässt die Frage aufkommen, warum man mehr als 70 000 Franken zusätzlich ausgeben soll, um am anderen Ende der 911er-Welt mit Heckantrieb einzusteigen. Der 911 GT3 mit Touring-Paket sieht dem Basismodell auf den ersten Blick sehr ähnlich.
Im Vergleich zum rennstreckenorientierten GT3 verzichtet die «Touring»-Version auf den grossen, feststehenden Heckflügel; stattdessen kommt hier, wie im Basismodell, eine ausfahrbare Abrisskante zum Einsatz. Die Karosserie ist in ihren Abmessungen identisch, wurde aber mit neuer Frontstossstange und Haube, komplett verkleidetem Unterboden und neuer Heckstossstange aufgerüstet. Grössere Räder samt kräftigerer Bremse verraten zudem, dass der GT3 Touring in einer anderen Liga fährt. Im Heck arbeitet ein 4-Liter-Saugmotor mit 510 PS, der Drehzahlen von bis zu 9000 U/min verkraftet. Geschaltet wird im 1435 kg leichten Sportmodell über ein 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe oder über eine 6-Gang-Handschaltung. Die vorbildliche Effizienz des Basismodells erreicht der Saugmotor nicht. Zudem wirkt er deutlich straffer, lauter und rauer. Mit rationalen Argumenten kann man das Topmodell also nicht rechtfertigen. Geht es um Emotionen, ist der GT3 Touring den Aufpreis, sofern man es sich leisten kann, aber auf jeden Fall wert – zumal er alles mitbringt, um zum wertvollen Sammlerstück zu werden.
Philipp Aeberli