Sprinttalent im Marathon-Test
Der erste elektrische Porsche im Test: Kann der Taycan mehr, als nur bei kurzen Sprints zu beeindrucken? Wir klären das auf einer Langstreckenfahrt durch Deutschland.
Elektroautos werden zwar stetig beliebter, haben aber noch immer gegen Vorurteile zu kämpfen. Für Menschen mit Benzin im Blut fehlt es dem Stromer an Emotionen; gerade für einen Porsche ein wichtiger Punkt. Für Pragmatiker stellen Reichweite und Ladezeiten den grössten Haken am E-Auto dar.
Die gängigen Vorurteile will der Porsche Taycan allesamt widerlegen. Natürlich ist er mit einem Grundpreis von mindestens 129 100 Franken (der getestete Taycan Turbo kostet gar mindestens 185 000 Franken) alles andere als massentauglich – er will viel mehr ein Beispiel dafür sein, was derzeit technisch möglich ist mit elektrischem Antrieb, und gleichzeitig all das verkörpern, was einen Porsche ausmacht. Das trägt er vom ersten Augenblick an glaubwürdig zur Schau. Sei es mit seinem futuristischen, aber nicht angeberischen Design, mit dem sehr hochwertig verarbeiteten Innenraum mit perfekter Sitzposition oder dem, was passiert, wenn man zum ersten Mal kräftig aufs Gas tritt: Der viersitzige Sportwagen schiesst regelrecht nach vorne, laut Werk in nur 3,2 Sekunden auf 100 km/h! Die emotionale Komponente, die man von einem Porsche erwartet, wird dabei definitiv eingelöst; auch weil sich die Limousine dank Luftfederung, Allradantrieb und Hinterachslenkung sehr direkt und handlich fährt.
Kurze Zwischenhalte
Doch, ob der Taycan auch wirklich fürs echte Leben taugt, muss er auf einem Langstreckentest beweisen. Das Ziel liegt in der Nähe von Paderborn. Das heisst: mehr als 600 Kilometer auf deutschen Autobahnen. Mit einer Akkuladung ist das nicht zu schaffen. Maximal 370 Kilometer «Langstreckenreichweite» gibt Porsche für eine Akkuladung an; dieser Wert soll für reine Autobahnfahrt gelten, im kombinierten Fahrzyklus sind es 383 bis 452 Kilometer. Hohes Tempo reduziert die Reichweite, das ist bei einem Benziner so – und auch bei einem E-Auto: Der höhere Luftwiderstand sorgt für erhöhten Verbrauch. Während auf Schweizer Autobahnen mit dem Taycan Turbo 350 bis 400 Kilometer möglich sind, ist der Akku auf der deutschen Autobahn natürlich schneller leer. Das Reisetempo lag meist bei 130 bis 160 km/h. Somit sind für die Strecke nach Paderborn zwei Ladestopps nötig – schliesslich will man nicht Gefahr laufen, mit leerer Batterie liegenzubleiben und entsprechend nicht mit komplett leerem Akku am Ziel ankommen. Ausserdem sind die Ladestopps mit dem Elektro-Porsche sehr kurzweilig; denn hier spielt er seine grösste Trumpfkarte aus: Kein anderes E-Auto kann seinen Akku schneller vollladen, als der Taycan. An einer Gleichstromladesäule mit 800-Volt-Technik, wie sie beispielsweise von Ionity angeboten wird, lädt die Batterie mit einer Maximalleistung von 270 kW. Zum Vergleich: Ein Audi e-tron, der ebenfalls schon zu den schnellen Ladern gehört, schafft maximal 150 kW. So dauert es nur rund 20 Minuten, bis die Batterie wieder zu 80 Prozent voll ist – selbst wenn der Akku fast leergefahren wurde. Auf eine Fahrt von mehr als sechs Stunden sind zwei Pausen à 20 Minuten absolut verkraftbar – ein Kaffee und weiter geht die Reise.
Automatische Abrechnung
Wo und wie lange man laden sollte, um das Ziel zu erreichen, schlägt das Navi automatisch vor. Diese Planung funktioniert meist einwandfrei und selbsterklärend. Praktisch ist auch die von Porsche mitgelieferte Karte, über welche sich die meisten Ladestationen freischalten lassen. Abgerechnet wird monatlich über den Hersteller, sodass der E-Auto-Fahrer sich darum nicht mehr kümmern muss. Damit zeigt der Taycan, dass die gängigen Vorurteile gegen Elektroautos durchaus aus der Welt geschaffen werden können. Noch lässt sich die notwendige Technologie dafür fast nur in hochpreisigen Autos einsetzen. Doch auch das wird sich ändern – schliesslich ist es noch gar nicht allzu lange her, dass eine Klimaanlage im Auto purer Luxus war. Heute gibt es kaum mehr ein Auto ohne.
Philipp Aeberli