In höheren Sphären
Der «R» markiert traditionsgemäss die Spitze der VW-Golf-Modellreihe. Die neuste Auflage zeigt, was mit dem Kompaktmodell möglich ist – und wo es an seine Grenzen stösst.
Auch wenn der Golf R als sportliches Topmodell vor allem Emotionen wecken und Fahrfreude bieten soll, müssen wir zuerst über Geld sprechen: 75 708 Franken soll der getestete Kompakt-sportler samt Ausstattung kosten! Wer auf Sonderausstattungen verzichtet, kriegt den Golf R ab 57 900 Franken – muss dann aber auf einiges verzichten, was gerade dieses Modell ausmachen soll: Für die Titan-Abgasanlage sind 4200 Franken fällig, für das R-Performance-Paket mit grösserem Heckspoiler, sportlicherer 19-Zoll-Bereifung und zusätzlichen Fahrprogrammen 2400 Franken. Auch die adaptive Stossdämpferverstellung kostet 920 Franken zusätzlich. Wer richtig durchstarten will mit dem sportlichsten Golf, muss auf jeden Fall mehr als 60 000 Franken investieren. Zur Einordnung: Einen Basis-Golf gibt’s ab 29 650 Franken. Die Frage drängt sich auf: Ist der neue Golf R sein Geld wert?
Punkten kann er mit Fakten: Der Sprint auf 100 km/h gelingt dank 320 PS, Allradantrieb und 7-Gang-DSG in nur 4,7 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 250 km/h, mit dem Performance-Paket bei 270 km/h. Hier kann sich der Golf R mit «echten Sportwagen» messen – trotz fünf Türen und ebenso vieler Sitzplätze. Wenn es um die Alltagstauglichkeit geht, steht der «R» seinen zivileren Geschwistern in nichts nach. Der Platz im Innenraum und auch der Kofferraum (381 bis 1237 Liter) bleiben identisch. Nur beim Rangieren macht sich der geringere Radeinschlag bemerkbar. Der Federungskomfort bleibt dafür überraschend gut, vor allem wenn der «Sport-Golf» in den «Comfort»-Modus geschaltet wird. Die adaptiven Dämpfer sind dann sehr talentiert darin, auch gröbere Unebenheiten auszubügeln. So lassen sich längere Strecken problemlos zurücklegen, weil sogar das Geräuschniveau im Innenraum angenehm tief bleibt.
Fahrspass ist garantiert
Doch das dürfte für viele Kunden nicht das Hauptargument für den Golf R sein. Auf der anderen Seite der umfangreichen Einstellmöglichkeiten stehen die Fahrmodi «Race», «Drift» und «Special». Hier darf das Sportmodell sein Potenzial entfalten – und macht diesbezüglich durchaus eine gute Figur. Hat der Motor seine Trägheit im tieferen Drehzahlbereich einmal überwunden, geht er kraftvoll und spontan zu Werke, das Getriebe schaltet über die Schaltwippen schnell und reaktionsfreudig, und die Bremse glänzt mit unermüdlichem Biss. Fahrwerk, Lenkung und Allradantrieb hauchen dem Kompaktwagen viel Agilität ein; er lenkt zackig ein, kennt kaum Untersteuern und hält sich fast unbeirrbar in der Spur – es sei denn, man aktiviert den «Drift»-Modus, der das Heck über gezielte Kraftverteilung an der Hinterachse eindreht. Diese Spielerei ist aber besser auf abgesperrter Strecke zu geniessen. Die «R»-Abteilung von Volkswagen hat ihre Hausaufgaben am aktuellen Golf also durchaus gut gemacht. Auch beim Verbrauch bleibt der Sportler, gemessen an der Leistung, einigermassen zurückhaltend. 7,3 l/100 km waren es im Test, einen Liter mehr prognostiziert die Werksangabe.
Die Probleme des Golf R liegen viel mehr in der Ausgangsbasis. Der aktuelle VW Golf ist schlichtweg nicht dafür konzipiert, in der Preisklasse über 60 000 Franken mitzuspielen. Eine elektrische Heckklappe gibt es auch gegen Aufpreis nicht, der schlüssellose Zugang (470 Franken Aufpreis) funktioniert nur an den vorderen Türen. Im Innenraum trifft der «R»-Fahrer zwar auf gute, passgenaue Verarbeitung, aber auch auf einige Hartplastikflächen. Das ist an sich nicht schlimm – in der neuen Preissphäre, in welche der «R» hineinwuchs, aber nicht gerade chic. Vor allem aber kämpft die Software mit denselben Problemen wie beim Standard-Golf: Insbesondere beim morgendlichen Kaltstart braucht das System lange, um sich hochzufahren, und reagiert zunächst träge. Zudem dürften die Menüs übersichtlicher aufgebaut sein. Das sollte inzwischen keine Frage des Preises mehr sein. Vor allem aber zeigt sich am Golf R, wie wichtig die Software in einem Auto geworden ist.
Philipp Aeberli