Eile beim Laden
Der EV6 ist für Kia der Start in ein neues Zeitalter. Das wird durch ein neues Logo verdeutlicht und ist in fast jedem Aspekt des elektrischen Crossovers erkennbar.
Wer mit einem E-Auto unterwegs ist, muss anders denken, was aber nicht zwingend schlecht sein muss. So habe ich mir vorgenommen, mit dem neuen Kia EV6 nach Nizza zu reisen, wo der neue Dacia Jogger für erste Testfahrten bereitsteht. Doch dazu ein andermal mehr. Jedenfalls erschien es mir eine gute Idee, die Reise elektrisch unter die Räder zu nehmen – und die Ladepausen dafür zu nutzen, diesen Fahrbericht zu schreiben, zumal der E-Crossover von Kia sogar eine 230-Volt-Steckdose im Innenraum bietet, um meinen Laptop mit Strom zu versorgen. Bei einem ersten kurzen Ladestopp vor dem Gotthardtunnel – notwendig, weil die Batterie bei der Abfahrt nicht voll geladen war – muss sich der koreanische Stromer erst mal der Physik beugen. Der Akku ist noch kalt und lädt zunächst nur mit knapp 70 kW, bevor die Ladeleistung dann auf rund 100 kW ansteigt –von den versprochenen 240 kW Ladeleistung weit weg. Nach rund 25 Minuten sind die benötigten 80 Prozent Ladestand dennoch erreicht, genug für den ersten Abschnitt bis zu einer Schnellladestation kurz nach Mailand. Das Finden der passenden Lademöglichkeiten gestaltet sich im EV6 leider nicht so intuitiv und einfach, wie man sich das in einem modernen E-Auto wünschen würde. Nachdem die Route berechnet worden ist, müssen die Ladestationen manuell ausgewählt werden, wobei die Auswahl sehr beschränkt ist. Informationen zur Ladezeit oder zum Ladestand am Ziel fehlen gänzlich. Immerhin wirkt die Prognose über die verbleibende Reichweite verlässlich. So ist man auf Apps wie «A better Routeplanner» angewiesen, die eine taugliche Route kreieren. Dafür verwöhnt der EV6 beim zweiten Ladestopp schon mit deutlich besserer Ladeleistung. Sie pendelt sich mit schon wärmerem Akku bei 130 bis 200 kW ein, sodass der Akku schon nach 20 Minuten von 20 auf 80 Prozent geladen ist – und die Reise bereits weitergehen kann. Obwohl der Text noch lange nicht fertig geschrieben ist.
Viel Zeit bleibt aber auch beim zweiten Ladestopp nicht. Nach rund 200 Kilometern Autobahn ist der Ladestand auf 16 Prozent gesunken. Auf der Autobahn gefällt der Stromer von Kia indes mit angenehm niedrigen Fahrgeräuschen, gutem Geradeauslauf und grossflächigem Head-up-Display samt Augmented-Reality-Funktion. Zusammen mit der angenehm komfortablen Federung reist man also durchaus bequem – nur die Beinauflage der Sitze dürfte etwas länger sein.
Warm gelaufen geht’s schneller
Nach rund 480 Kilometern scheint nun auch der Akku genügend Temperatur bekommen zu haben. Auch hier zeigt sich also ein Defizit der Bordelektronik: Der Akku kann nicht vortemperiert werden, bevor eine Schnellladestation angefahren wird. So kann man die beeindruckende Lade-performance gerade im Winter nur selten ausnützen. Denn nun lädt der EV6 gleich von Beginn an mit 200 kW – und steigert sich kurz darauf auf die versprochenen 240 kW; so wäre der Akku schon nach 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent geladen. So viel brauchen wir für die verbleibenden 110 Kilometer aber nicht. Ein kurzer Stopp von 8 Minuten reicht aus, um genügend Strom inklusive Sicherheitsreserven in den Akku zu jagen. Nun muss der Text eben im Hotel fertiggeschrieben werden.
Auf der Hotelanlage steht eine 11 kW-Wallbox bereit. Damit ist der Akku in gut sieben Stunden – also über Nacht – wieder voll. 528 km Reichweite sollen mit den dann gespeicherten 77,4 kWh laut WLTP-Messung möglich sein. Gemessen am Autobahn-Durchschnittsverbrauch von 23 kWh, bleiben immerhin gut 330 Kilometer, was den EV6 zusammen mit der tatsächlich guten Ladeleistung absolut langstreckentauglich macht. Erst recht, weil er auch in der zweiten Reihe bequem Platz bietet und mit 490 bis 1300 Litern Kofferraumvolumen auch ordentlich Feriengepäck mitnehmen kann. Zusätzlich zur getesteten Variante mit Hinterradantrieb und 229 PS / 350 nm Leistung ist auch eine Allradvariante mit 235 PS / 605 nm erhältlich. Ausserdem steht ein Einstiegsmodell mit kleinerer 58-kWh-Batterie in der Preisliste, die bei 49 950 Franken beginnt.
Philipp Aeberli