Auf ein Macaron mit Macron – die staatsmännische Limousine
Die Limousine, mit der der französische Staatspräsident umherchauffiert wird, bietet viel Luxus, hie und da würde man aber aufgrund des Preises auch etwas mehr erwarten.
Autos lösen seit jeher Emotionen aus, generieren Bilder im Kopf, kurbeln zuweilen das Kopfkino an. Mit der DS9 E-Tense 360 4×4 sehen wir uns auf Anhieb mit dem französischen Staatspräsidenten verabredet. Denn die 5-Meter-Limousine (4,93 m) verbindet ein zeitloses Autodesign mit dem unverwechselbaren französischen Charme und setzt dabei ganz auf Komfort. Die DS9 geht glatt als Staatskarosse durch, weil sie elegant und erhaben erscheint und weil in ihr die Passagiere im Fond nicht zuletzt dank des Radstands von 2,90 m so geräumig und bequem sitzen wie jene in der ersten Reihe.
Ist die Mittelarmlehne im Fond einmal heruntergeklappt, erinnert das Interieur der zweiten Reihe an zwei Fauteuils. In der Mitte könnte man selbst während der Fahrt eine Tasse Tee und dazu ein paar Macarons kredenzen, so grosszügig sind die Platzverhältnisse, so geschmeidig gleitet das Auto über den Asphalt. Dazu bei trägt die serienmässige kamerabasierte Federung, die die Bodenbeschaffenheit durch die Windschutzscheibe voraussieht und die Dämpfer entsprechend voreinstellt. Auch der akustische Komfort lässt keine Wünsche offen.
Seit dem Frühjahr 2022 ist das Flaggschiff der Pariser Nobelmarke aus dem Stellantis-Konzern für den Schweizer Markt besonders spannend. Denn seither wird der Plug-in-Hybrid mit einem Allradantrieb bestückt, und er bekam im Zuge dessen auch mehr Systemleistung, 360 PS insgesamt – daher die 360 in der Modellbezeichnung des Testwagens. Sportlichkeit ist aber nicht ihr Ding, die Limousine bleibt ihrem Motto der «dynamischen Gelassenheit» treu.
Von 0 auf 100 km/h in 5,6 Sek.
Dass hinter dem französischen Flaggschiff mit der Topmotorisierung die Performance-Abteilung von DS steckt, die schon mehrere Titel in der Formel-E einheimste, macht sich hinter dem Lenkrad bemerkbar. Der 4-Zylinder-Motor mit 200 PS sorgt im Zusammenspiel mit zwei Elektromotoren (einer mit 110 PS in das Getriebe vorne integriert und einer mit 113 PS an die Hinterachse gekoppelt) für ordentlich Vorschub. Das maximale Drehmoment liegt bei 520 Nm. Von 0 auf 100 km/h geht es in 5,6 Sek. Ein Statement, das der Limousine mit einem Leergewicht von nahezu 2 Tonnen gut steht. Auch profitiert man von einer satten Strassenlage des Autos. Tatsächlich liegt die Allradversion tiefer auf der Strasse als die weniger stark motorisierten Versionen. Die DS 9 E-Tense 4×4 360 verfügt über eine spezifische Vorder- und Hinterachse mit verbreiterter Spur. Zur Auswahl stehen zwischen Elektro und 4×4 fünf Fahrmodi, wobei der Allradantrieb stets die automatische Zuschaltung des Benzinmotors voraussetzt.
Im Winter nach 20 bis 30 km leer
Das eigene Fahrverhalten hat den grössten Einfluss auf den Benzinverbrauch. Zwischen 1,8 Litern (Werksangabe gemäss WLTP-Zyklus) und 7,8 Litern (im Test bei Aufladung der 11,9-kWh-Batterie während der Fahrt mittels Verbrennungsmotor) ist vieles möglich. Im Wintertest war die Batterie nach rund 20 bis 30 km rein elektrischen Fahrens jeweils leer. Sie kann aber sowohl an der Ladesäule, an der heimischen Steckdose wie auch während der Fahrt durch den Benzinmotor aufgeladen werden. Je regelmässiger sie mittels Stecker aufgeladen wird, desto tiefer sind logischerweise die Emissionen.
Das französische Savoir-vivre drückt bei der DS9 in den kleinsten Details durch. Der drehende Chronograf der Marke B. R. M. an der Spitze der Mittelkonsole hat einfach Stil. Diese Art von Luxus wird in diesem Auto immer wieder angedeutet, ohne dass es die Franzosen damit auf die Spitze treiben. Die DS9 bleibt bei aller staatsmännischer Erhabenheit auch ein Auto für Bescheidene.
Denn für eine Limousine, die mit der getesteten Topmotorisierung knapp 90 000 Franken kostet und mit den verbauten Extras am Ende mit über 100 000 Franken zu Buche schlägt, erinnert am Steuer der DS9 viel, ja zu viel an die Stamm-DNA. Angefangen beim 1:1 von Citroën übernommenen Navigationssystem, dessen Grafik noch aussieht wie ein Computerspiel aus den 1990er-Jahren. Da ist die Premiumklasse heute schon viel weiter, nutzt zum Teil Satellitenbilder. Auch dass der Schlüssel baugleich ist mit jenem eines Citroën, passt nicht ganz zu den Ansprüchen der Nobelmarke.
Kamera erkennt Velofahrende
Ein Ärgernis gar ist der langsame Prozessor des Bordcomputers, der vor der Abfahrt ein schnelles Eintippen ins Navi verhindert. Mit den Preisen steigen eben auch die Ansprüche. Man wünschte sich, der Mutterkonzern würde mit DS in manchen Bereichen vermehrt einen eigenen hochklassigeren Weg gehen. Wie das funktionieren kann, zeigt DS etwa mit der (aufpreispflichtigen) Night-Vision-Infrarotkamera, die im Dunkeln Fussgänger:innen und Velofahrer:innen schneller erfasst als das menschliche Auge und auch entsprechend darauf hinweist.
Ein schickes Detail sind die Positionsleuchten respektive Blinker im Rahmen der Heckscheibe, eine Hommage an die originale Citroën Déesse von 1955, bei der die Blinker tropfenförmig an der Heckscheibe angebracht waren. In Sachen Design, Fahrkomfort und akustischem Komfort fährt die DS9 E-Tense 360 4×4 an der Spitze mit. Dass andere Bereiche in Sachen Perfektion nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten, gehört eben irgendwie auch zum französischen Savoir-vivre.
Matthias Hafen