«Wir haben noch Potenzial»

Stadtpräsident Beat Züsli spricht im Interview mit dem «Anzeiger» über die finanziellen Auswirkungen von Corona für die Stadt, den Stadt-Land-Graben und über seine Energiereserven.

Stadtpräsident Beat Züsli blickt mit Optimismus und Hoffnung auf das kommende Jahr. Bild: Dany Schulthess

Beat Züsli, Ihr viertes Amtsjahr als Stadtpräsident liegt hinter Ihnen, war es auch Ihr schwierigstes Jahr?
Es war sicher das Jahr mit den grössten Herausforderungen und Überraschungen. Es gab Veränderungen, die waren nicht planbar. Symbolisch dafür war für mich der März 2020, als der Bundesrat bekannt gab, dass am Montag alle Schulen geschlossen sind. Rückblickend habe ich diesen Tag aber in guter Erinnerung. Von der Verwaltung über die Lehrpersonen bis zu den Eltern haben sich alle sehr engagiert, damit die Umsetzung möglich war.

Hinzu kamen die Wahlen, die fast etwas in den Hintergrund rückten?
Ja, die Wahlen waren eine zusätzliche Herausforderung. Umso mehr, weil ein zweiter Wahlgang notwendig war, der wegen der Pandemie verschoben werden musste. Man darf aber auch die positiven Dinge im Jahr 2020 nicht vergessen.

Was war positiv?
Beispielsweise die Volksabstimmungen, bei denen das Volk jedes Mal der Meinung des Stadtrates gefolgt ist. Auch die Eröffnung des Schulhauses Staffeln, das grösste Schulhaus in der Stadt Luzern, bedeutete für Luzern einen Meilenstein. Natürlich hätten wir die Eröffnung gerne in einem grösseren Rahmen gefeiert.

War es anderseits auch ein entspannteres Jahr, weil Sie durch die vielen Absagen von Veranstaltungen nicht so viele öffentliche Auftritte hatten?
Das ist so, der Anteil an Veranstaltungen war massiv reduziert. Anderseits mussten wir uns zu anderen Themen vermehrt äussern und waren mit kurzfristigen Änderungen stark beschäftigt.

Wie stark spüren Sie das Jahr 2020 in den Knochen?
Mir geht es persönlich sehr gut. Was ich wie viele andere Leute auch spüre, ist eine gewisse Corona-Müdigkeit. Wir haben im Sommer alle gehofft, dass es aufwärtsgeht, dann kam die zweite Welle. Aber mein Befinden möchte ich auch nicht überbewerten im Vergleich zu Menschen, die wegen Corona existenzielle Sorgen haben, sei es beruflich oder gesundheitlich. Und insbesondere denke ich auch an die Angehörigen der vielen Menschen, welche infolge des Coronavirus gestorben sind.

Hatten Sie schon Zeit für eine Analyse?
Insgesamt bin ich mit unseren Entscheidungen, die wir teilweise sehr kurzfristig getroffen haben, zufrieden. Bezüglich Corona waren wir natürlich sehr stark von den Entscheidungen des Bundes und dem Kanton abhängig. Aber insbesondere mit dem Kanton haben wir gut zusammengearbeitet.

Die städtischen Finanzen haben durch Corona gelitten. Wie werden dies die Luzernerinnen und Luzerner 2021 zu spüren bekommen?
Es wird natürlich Einnahmeverluste geben und auch grössere Ausgaben. Insbesondere im sozialen Bereich, allenfalls auch bei der Unterstützung im kulturellen Sektor. Im Sinne von einem Leistungsabbau oder Investitionen, die nicht getätigt werden, sollte die Bevölkerung 2021 keine Auswirkungen zu spüren bekommen. Für die wirtschaftliche Entwicklung ist es wichtig, dass wir die Investitionen tätigen können, dies auch zur Unterstützung des Gewerbes. In Bezug auf die längerfristige Weiterentwicklung des städtischen Haushalts werden wir diskutieren müssen, welche Auswirkungen die Pandemie haben wird.

Also könnte es auch zu einer Steuererhöhung kommen?
Da das Budget bereits verabschiedet ist, wird dies 2021 nicht der Fall sein. Ob dies in den nächsten Jahren ein Thema werden wird, ist offen. Eine Steuererhöhung ist aber eine Möglichkeit. Mindestens so stark wie von Corona hängt dies aber von der allgemeinen Situation und den Auswirkungen der kantonalen Aufgaben- und Finanzreform 18 (AFR18) ab. Wir haben immer gesagt, dass wir im Frühling 2021 eine Analyse machen werden. Aufgrund dieser Ergebnisse werden wir entscheiden, wie es 2022 weitergehen soll. 

Können Sie bereits etwas konkreter sagen, wie hart die AFR18 die Stadt Luzern treffen wird?
Nein, dazu ist diese Analyse notwendig.

Durch den Tourismuseinbruch gehen der Stadt ebenfalls Einnahmen verloren. Ist eine Anpassung der Ausrichtung bezüglich des Tourismus nötig?
Dieser Einbruch ist ein Problem und zugleich eine Chance. Die Frage wird sein, wie schnell sich der Tourismus von den Auswirkungen der Pandemie  erholen kann. Das ist sicher auch von der internationalen Anwendung des Impfstoffs abhängig. Wir sind nun gefordert, einen nachhaltigeren Tourismus zu entwickeln. Das heisst für mich primär, eine längere Aufenthaltsdauer zu generieren. Das ist für die Hotellerie und auch für den Veranstaltungsbereich interessant. So können zukünftig Angebote aus dem Kulturbereich stärker mit dem Tourismus verbunden werden. In diesem Bereich nutzen wir unser Potenzial noch nicht genügend. Luzern hat eine sehr gute Position als Ausgangspunkt für Aktivitäten in der gesamten Zentralschweiz. Auch das  müssen wir noch stärker nutzen.

Sie haben die Kultur angesprochen. Mit Ina Karr erhält das Luzerner Theater eine neue Intendantin. Welche Erwartungen haben Sie an die Nachfolgerin von Benedikt von Peter?
Ich bin vor allem neugierig, wie sie das, was Benedikt von Peter mit der Öffnung des Theaters sehr stark geprägt hat, weiterführen wird. Das Thema der Öffnung des Theaters ist ja auch ein zentrales Ziel im Rahmen des Bauprojekts für das neue Theater.

Sie haben letztes Jahr angekündigt, dass Sie trotz der Empfehlung des Heimatschutzes und des Denkmalschutzes ein neues Theater bauen wollen. Erwarten Sie in diesem Jahr grosse Diskussionen diesbezüglich?
Nach der Bekanntgabe, welchen Weg wir gehen wollen, haben wir sehr viel Unterstützung erfahren. Auch von Leuten, denen der Denkmal- und Ortsbildschutz ein sehr wichtiges Anliegen ist. Für dieses Jahr ist der Architektur-Wettbewerbstart geplant. Ich hoffe natürlich, dass sich ein starkes Projekt herauskristallisieren wird und die Auseinandersetzung mit den Fragen des Ortsbildschutzes dann vor allem anstehen wird, wenn das Projekt steht – also erst 2022.

2020 haben Sie vor den Wahlen gesagt, es seien Gespräche notwendig, damit der Verein Luzerner Gemeinden (VLG) für die Stadt Luzern wieder ein Thema werden könne. Wie ist der aktuelle Stand?
Wir haben viele Gespräche geführt. Einerseits mit den Gemeinden, mit dem VLG und auch mit den Fraktionen des Stadtparlaments. Das Stadtparlament hatte den Austritt damals beschlossen und müsste sich auch für einen Eintritt aussprechen. Bei den Gemeinden und dem Verband ist ein grosses Interesse vorhanden, dass die Stadt wieder Mitglied wird. Bei den Fraktionen sind immer noch Vorbehalte vorhanden, aber auch eine gewisse Offenheit ist feststellbar. 

Mit welchen Gefühlen blicken Sie bezüglich Strassenverkehr dem Jahr 2021 entgegen, besonders in Bezug auf die Reussportbrücke, die ja noch nicht vom Tisch ist?
Im Rahmen der Vernehmlassung hat der Stadtrat klar gesagt, dass auch das reduzierte Projekt nicht stadtverträglich ist. Die Reussportbrücke wäre ein Projekt für den motorisierten Individualverkehr mit Ausbauten am Schlossberg und Kreuzstutz, die nicht zu unterschätzen wären. Für den ÖV gäbe es praktisch keinen Gewinn. Das ist für die Stadt absolut ungenügend. Der Kanton entwickelt nun aber eine umfassende Mobilitätsstrategie, bei der auch die Stadt involviert ist. Das ist für uns der passende Weg. Alle Verkehrsträger sind einbezogen. Aus der Gesamtbetrachtung sollen sich die Massnahmen ergeben. Wir denken, dass aufgrund einer solchen Entwicklung das Projekt Reussportbrücke überflüssig wird.

Es klingt, als wäre man dem Kanton etwas näher gekommen, seit Fabian Peter Regierungsrat ist. Wurde der Stadt-Kanton-Graben kleiner?
Das muss man differenziert betrachten. Ich würde nicht von einem Graben zwischen Stadtrat und Regierungsrat sprechen. Es gibt Themen, bei denen wir unterschiedliche Situationen haben. Ich denke, dass wir gerade eben mit einer umfassenden Mobilitätsstrategie auf einem guten Weg sind. Das Verständnis für die städtische Mobilitätspolitik wächst einerseits in den Agglomerationsgemeinden, aber auch beim Kanton.

Marcel Habegger

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