Adieu, «Anzeiger Luzern»

Vom englischen Königshaus, von einem Podium unter Polizeischutz, Weltstars wie Anne-Sophie Mutter oder Joss Stone bis zum «falschen» Barenboim: Nach vielen spannenden Jahren verabschieden wir uns.

Der «Anzeiger Luzern» wurde 2010 von den LZ Medien, später CH Media, übernommen. Nun wird er eingestellt. Dies ist die letzte Ausgabe der 170-jährigen Geschichte. Bild: Marcel Habegger

«Ich bin grad am Bügeln.» Ein Satz von Anne-Sophie Mutter, Violinistin, der bekanntesten, wohl besten global. Der «Anzeiger» bat sie um ein Telefoninterview am Morgen um 9 Uhr. Da kann es vorkommen, dass auch ein Weltstar sich ganz bodennahen Aufgaben widmet.

Es folgten 60 Minuten Gespräch, von dem jeder Satz in der Zeitung Berechtigung gehabt hätte. Ein Highlight im journalistischen Wirken. «The weather here is dogshit!»: der erste Satz von Bonnie Tyler am Telefon. Auch dieses Gespräch ist nicht zu vergessen. «Meine Stimme habe ich weder vom Alkohol noch vom Rauchen»: Daniel Koch, als er noch stramm die Bundeslinie in Sachen Corona vertrat. Sängerin Regula Mühlemann, die übers Brotbacken philosophierte. Mitglieder der Jazz-Pop-Formation Manhattan Transfer, die ihre Aussagen zum damaligen Präsidenten Trump nicht zeitungskompatibel wählten. Ex-Luzerner-Theater-Intendant Benedikt von Peter einen Tag nach Bekanntgabe seines Rücktritts, noch völlig aufgewühlt. Wir durften nicht alles abdrucken.

Der «falsche» Barenboim

Für den freien Journalisten Andréas Härry sollte es ein Highlight werden, das Interview mit Daniel Barenboim, dem grossen Dirigenten, der nur so selten ein Interview gibt. Bereits am Telefon erkannte er, dass die Stimme nicht nach dem Grossmeister klang. Das Management hatte im Vorfeld auf das Lucerne Festival dessen Sohn Michael vermittelt, nicht wie erwartet Daniel. Ein Missverständnis, das Interview wurde dann aber doch noch spannend, und wir behaupten bis heute: Er hat nichts bemerkt. Der «Anzeiger» hatte nie Hemmungen, interviewte alle aus Kultur, Sport und der Politik. Darunter Grössen wie Joss Stone, James Bay, Jack Savoretti, Ueli Steck, Marco Odermatt, die Sterne der Schweizer Musikszene und viele andere.

Den «Gwunder» stillen

«Keiner liest ihn, aber alle wissen, was drinsteht.» Diese Umschreibung der Funktionsweise des «Anzeigers Luzern» dürfte passen – und ist als Kompliment zu verstehen. Bekennende «Freaks» dieser Zeitung dürften schwer zu finden sein, «Hater» aber genauso. Das Blatt erfüllte für viele die Funktion eines Begleitorgans. Es gab aber auch Haushalte, da war der «Anzeiger» ein Erstmedium, der einzige Weg, in nicht digitaler Form offizielle Mitteilungen zu überbringen oder zu erhalten. Für die einen war die Zeitung ein paar Minuten Information sachlicher oder unterhaltender Sorte – für die anderen, um den «Gwunder» zu stillen. Eine treue Leserschaft somit. Ein Beweis für diese Tatsache waren die immer noch zahlreichen Kleininserate und auch einzelne grosse Firmen, die den «Anzeiger» treu begleiteten. Was zeigte, dass diese Form von analoger Kommunikation durchaus Wirkung erzielen kann, sonst hätten es die Inserierenden sein lassen.

Unbeeindruckt von den zig Sparrunden, die alle Zeitungsformate in den letzten Jahren regelmässig durchschüttelten, kultivierte der «Anzeiger» auch mit schrumpfendem Umfang bis heute den journalistischen Text mit einem Autor und einer Aussage. Das ist das Verdienst des in den letzten Jahren einzigen Fulltimemitarbeiters des «Anzeigers», des Redaktionsleiters Marcel Habegger. Er wusste, dass dies ein hervorstechendes Merkmal dieses Blattes war in einer Zeit, in der sich die Konkurrenz im Wochenzeitungsbereich aufs Abdrucken redigierter Medienmeldungen zurückzog – und zuletzt auch von der Bildfläche verschwand. Ab nächster Woche gibt es nun gar keine Gratiszeitung mehr für alle Luzerner Haushaltungen – mit oder ohne journalistischen Anspruch. Das wird fehlen: in der Regionalpolitik, wo der «Anzeiger» Berichterstattungslücken der bezahlten «grossen Zeitung» füllen konnte. Dieselbe Aufgabe übernahm das Wochenblatt im Sport – oder für die Kultur, siehe ersten Abschnitt dieses Textes. Im Rahmen der personellen und der «Platz auf dem Papier»-Möglichkeiten widmete sich der «Anzeiger» verschiedenen Kulturformaten mit Vorabberichten, Interviews oder Rezensionen. Nachdem sich auch Gratis-Online-Plattformen von der Kulturberichterstattung verabschiedet hatten, war diese Zeitung der «letzte Mohikaner» in diesem Genre. Das wurde von den Luzerner Kulturhäusern geschätzt. Auch die Möglichkeit, mit geringem Geldeinsatz prominent platzierte Kultur-Highlights zu schalten, war ein Alleinstellungsmerkmal dieses Blattes.

Journalistischer Handkuss

Ein weitere «Anzeiger»-Spezialität waren die People-Seiten (Leute-Seiten). Unbestritten die meistbeachteten Beiträge. Prominenz aller Kategorien sowie Menschen «wie du und ich» wurden abgelichtet – und das wusste anschliessend «jeder» in Luzern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Organisator:innen von Events aller Art um diese Form der Berichterstattung buhlten – manchmal mehr als um einen aufwendig produzierten Text.

Sie halten die letzte Ausgabe des «Anzeigers» in Händen. Ein 170-jähriges Traditionsblatt ist Geschichte. Die Bemerkung sei erlaubt: in Luzern entsteht ein kommunikatives Vakuum, Inseratenflaute hin oder her. Dies sehen auch Spezialisten der Branche so. Spannend wird sein, was damit passiert.

Andréas Härry / Marcel Habegger

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