Wiget wechselt ins Praktikum

Cyrill Wiget war 16 Jahre im Stadtrat, hinzu kommen weitere acht Jahre im Parlament. Genug von Politik hat der abgetretene Stadtpräsident aber immer noch nicht. Er will sich auch in Zukunft engagieren.

Das Café Ambrosia und die Werkstatt des Velociped liegen unmittelbar vis-à-vis vom ehemaligen Arbeitsplatz von Cyrill Wiget. Bild: mh

Er wirkt wie ein richtiger Beizer, wie er hinter der Theke in seinem weissen Hemd im Café Ambrosia einen Kaffee zubereitet. Ist er ja auch. Seit 1996 führt der am Montag abgetretene Krienser Stadtpräsident Cyrill Wiget vis-à-vis des Stadtzentrums das Gartencafé.
Gleich daneben liegt die Werkstatt des Velociped. Wiget ist Inhaber des mit rund 30 Angestellten grössten Velogeschäfts der Region. «Es fehlte mir in den letzten Jahren schon etwas die Zeit für den eigenen Betrieb. Die Gemeinde ging immer vor», sagt er und meint dabei die Innovation des Velociped. Ohne Abstriche zu machen, könne man aber nun mal nicht so lange in der Exekutive einer so grossen Gemeinde – seit 2019 gar Stadt – prägend mitwirken, meint er. 
Wiget sitzt mittlerweile im Garten des «Ambrosia». Es ist ein gelöster abtretender Stadtpräsident, der sich über viel Schönes und Erreichtes freut, der aber durchaus auch unter Streitereien und Anfeindungen zu leiden hatte. Insbesondere als er sich nicht für mehr Lohn und höhere Pensen einsetzen wollte, entbrannte ein Streit im Stadtrat. Bei einer Wiederwahl hätte er nun vier neue Kollegen erhalten – kam dieser Gedanke nie auf? «Einerseits hätte es mich schon gereizt weiterzumachen, auch um zu wissen, ob die Bevölkerung mir den Rücken gestärkt hätte», sagt er. Trotzdem bereut er seinen 2019 gefällten Entscheid, nach 16 Jahren sich nicht mehr zur Verfügung zu stellen, überhaupt nicht. «Es ist auch schön, nach all den Jahren weniger im Rampenlicht zu stehen.»


«Wir bluten finanziell aus»


An die Spitze seines Wahlversprechens vor seinem Amtsantritt als Gemeindeoberhaupt hatte er 2015 die Zusammenarbeit gesetzt. «Das ist mir im Bezug auf die ­Bevölkerung gut gelungen. Mit dem Par­lament hätte sie für mich auch noch besser sein können», bilanziert Wiget selbst­kritisch. «Je mehr wir vom Einwohnerrat kritisiert wurden, desto defensiver wurden wir.» Zum Teil habe es zu lange gedauert, bis man dem Parlament Resultate vorlegen konnte. 
Auch in Sachen gemeindeübergreifende Zusammenarbeit hätte Wiget gerne mehr erreicht. «Das Entlebuch bringt mit 20 000 Menschen oft mehr politischen Druck zustande als die ganze Agglomeration, die doch rund die Hälfte des Kantons darstellt.» Bei der Aufgabenplanung werden den Gemeinden immer wieder Aufgaben und Kosten zu Ungunsten der Kernagglomerationsgemeinden übertragen. «Mittlerweile bluten die grossen Gemeinden finanziell völlig aus, sofern sie dies nicht dank Seeanstoss mit ein paar guten Steuerzahlern abfedern können», findet Wiget deutliche Worte. «Für eine überparteiliche thematische Verbindung habe ich viel Energie aufgewendet, aber wir sind noch lange nicht dort, wo wir sein müssten.»


Oft auf die Füsse getreten


Nach 24 Budgets, 8 als Einwohnerrat und 16-mal als Gemeinde- beziehungsweise Stadtrat, sei es aber doch Zeit, dass neue, junge Kräfte kommen würden. Nachdem er so lange in der Politik mitgestalten durfte, gilt es nun loszulassen, von Projekten, die nicht wahr geworden sind. «Am härtesten trifft es mich, dass wir keine sichere Veloverbindung nach Luzern und keine Verkehrslösung für ein attraktives Zentrum zustande gebracht haben. Ich hoffe, dass die neue Crew hier besser vorwärtskommen wird», sagt Wiget, der sich bewusst ist, dass er dem Kanton als grüner Politiker in den letzten Jahren mehrfach auf die Füsse getreten ist.


Nun wieder politischer Unternehmer


Cyrill Wiget hat sich in den letzten Jahren als unternehmerischer Politiker gesehen. Nun ist er wieder politischer Unternehmer, denn der Politik so ganz den Rücken kehren will er dann doch nicht. Für das Zentrum plant er sich als Unternehmer auch in ­Zukunft einzusetzen – wie genau, will er noch nicht preisgeben. «Im Herbst werde ich mich von meinen Mitarbeitern in einer Art Praktikum wieder in alles detailliert einführen lassen. Danach stehen wieder einige Innovationen an, die wir in den letzten Jahren zurückstellen mussten», erklärt er. 
Zuerst ist aber Kopflüften angesagt. Auf einer grösseren Wanderung in den Bergen will der Alt-Stadtpräsident während der nächsten drei Wochen den nötigen Abstand von seiner aktiven politischen Karriere nehmen.


Marcel Habegger

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