«Wer will schon eine Quotenfrau sein?»

350 Frauen kandidieren für den Kantonsrat. Ein Blick in die letzten Jahre zeigt: Alleine mit einer höheren Frauenquote in der Politik ändert sich die Situation auch nicht grundlegend. Wo ist also der Hebel anzusetzen?

Frauen sind in hohen Geschäftspositionen immer noch stark untervertreten. Symbolbild: Pixabay

870 Personen kandidieren für den Kantonsrat – davon 350 Frauen –, 40 Prozent aller Kandidierenden sind also Frauen.

Aktuell beträgt der Frauenanteil im Kantonsrat mit 49 Frauen 40,8 Prozent, im ­Parlament der Stadt Luzern sind es mit 15 Frauen 31 Prozent, im Nationalrat sind 82 Frauen vertreten (41 Prozent). «Beim Kantonsrat sind das nur 5 Prozent mehr Kandidierende als 1995, das sind immer noch zu wenige», sagt Sabina Moor, Kantonsratskandidatin der Grünen und Mitglied des Überparteilichen Bündnisses feministischer Kantonsrat. «Wenn Frauen und queere Personen ihre Erfahrungen und Expertise in die Politik einbringen, bildet diese Politik mehr die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung ab», sagt sie.

Zu 97 Prozent ist ein Mann CEO

Viel hat sich in den letzten Jahren noch nicht verändert, obwohl mehr Frauen in der Politik tätig waren. Der Kadervermittler Guido Schilling hat diesbezüglich die 118 grössten Schweizer Arbeitgeber:innen untersucht, Resultat: 97 Prozent der untersuchten Firmen werden von einem Mann geführt. Erst 53 Prozent der grössten Unternehmen beschäftigen eine oder mehrere Frauen in ihrer Geschäftsleitung. Vor 15 Jahren lag der Frauenanteil gemäss Schilling-Report bei 4 Prozent, heute bei deren 10 Prozent.

Konnten die Frauen in der Politik also in den letzten Jahren zu wenig bewirken? Oder ist das Schweizer Familiengebilde noch nicht so weit, dass überhaupt mehr Frauen eine berufliche Karriere anstreben?

Der Mann soll 80 Prozent arbeiten

Das Forschungsinstitut Sotomo, dass 2000 Personen befragt hat, hat Anfang Februar dieses Jahres berichtet, dass sich die Geschlechter einig seien: Frauen sollen weniger arbeiten als Männer. Bei der Frage, wie viel eine Frau mit einem schulpflichtigen Kind arbeiten soll, sagten die Männer, 50 Prozent, die Frauen selbst erachten 60 Prozent als das richtige Pensum. Der Mann soll dagegen – da sind sich die Geschlechter einig – 80 Prozent arbeiten. Nur: Welche Kaderposition ist heutzutage nur mit einem 60-Prozent-Pensum besetzt? Und wollen also viele Frauen auch gar nicht mehr arbeiten?

Ein anderes Zeichen: Seit dem 1. Januar dürfen Männer nach der Geburt 10 freie Tage beziehen. Beispielsweise im Kanton Zürich, der jährlich 17 000 Geburten registriert, sind lediglich 2800 Gesuche von den Männern eingegangen. Liegt das Problem an den Männern, die nicht zurückstufen wollen, an den Firmen, die die nötigen Strukturen nicht bieten, oder an den fehlenden Kita-Angeboten?

«Es braucht ein Gesetz»

«Es braucht auf verschiedenen Ebenen Veränderung, das Umdenken muss schon im Umgang mit den Kindern anfangen, die immer noch in stereotype Rollen gedrängt werden», sagt Sabina Moor. «Es braucht auch ein Gesetz, das gleich viele Frauen und Männer in Geschäftsleitungen fordert, und auch die Überprüfung der Lohngleichheit darf nicht freiwillig sein, sonst ändert sich nichts», ist sie überzeugt.

Zoé Stehlin, Regierungsratskandidatin der Juso, sieht eine Kombination als Lösung. «Ich bin sicher für eine Quote, aber wir dürfen nicht das Gefühl haben, dass mit einer Quote Gleichstellung automatisch gegeben ist. Bei uns auf der Traumatologie wäre eigentlich eine Quote verlangt, leitende Ärztinnen gibt es dennoch keine, weil unter anderem die Arbeitsbedingungen schwer mit einer Familie vereinbar sind. Es braucht deshalb flankierende Massnahmen wie mehr und bezahlbare Kita-Plätze, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern», sagt Stehlin. Die Medizinstudentin würde sich aber auch bei der Gestaltung der Arbeitsplätze mehr Innovation wünschen. Sie spricht damit Dinge wie Co-Leitungen an. «Bei uns kommt das nur langsam, dass zwei Chefärzt:innen einstellt werden und diese eine Co-Leitung bilden», erklärt sie. Sie betont aber auch, dass es gesellschaftlich einen Wandel geben müsse. «Arbeitet ein Vater heute 80 Prozent, wird er gelobt, arbeitet eine Mutter 80 Prozent, heisst es: ‹Das ist aber schon viel, möchtest du nicht lieber etwas reduzieren?›»

Nichts von einer Quote hält Michaela Tschuor, Regierungsratskandidatin der Mitte. «Wer will schon eine Quotenfrau sein?», stellt sie infrage. Viel mehr brauche es nach ihr einen Wertewandel sowohl bei jungen und älteren Personen als auch bei Frauen und Männern. «Ich denke nicht, dass wir das über Gesetze oder eine Quote regulieren können, sondern durch Vorleben und Erkämpfen. Wenn wir von Gesetzen sprechen, bin ich auch der Meinung, dass wir ein Kinderbetreuungsgesetz benötigen», erklärt sie. «Das Rollenverständnis von Müttern und Vätern ist bei uns noch sehr stark verwurzelt», führt Tschuor weiter aus. Wichtig sei für sie auch, dass man damit aufhöre, sich gegenseitig zu verurteilen. «Wenn man Mutter ist und arbeitet, wird man auch heute noch oft als Rabenmutter abgestempelt. Da braucht es mehr Toleranz für all die verschiedenen Lebens- oder Familienmodelle, die es heute gibt.»

Der Folgen oft nicht bewusst

Einen weiteren Punkt, die finanziellen Konsequenzen bei einer allfälligen Trennung, spricht Regierungsratskandidatin Claudia Huser (GLP) an. «Frauen, die nicht erwerbstätig sind, machen sich über die finanziellen Folgen einer allfälligen Trennung oft zu wenig Gedanken. Entsprechend fallen mehr Frauen als Männer nach einer Trennung in die Armut», erklärt sie. Sorgt sich eine Frau über mehrere Jahre hinweg Vollzeit für die Kinder, ist der Wiedereinstieg in die Berufswelt schwieriger und oftmals auf einem tieferen Lohnniveau. «Die Pensionskasse wird zwar für die gemeinsame Zeit mit dem Ex-Partner geteilt, aufgrund der tiefen beruflichen Stellung fliesst danach bei der eigenen Berufstätigkeit aber nicht wirklich viel Geld in die Pensionskasse», erklärt Huser. Daran würden viele nicht denken. Für Huser ist klar: «Dessen müssen sich mehr Frauen bewusst werden.»

Marcel Habegger

 

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