Viel Arbeit, zu wenig Personal
Die Velogeschäfte in der Region Luzern werden aktuell überrannt. Es herrscht allerdings ein Mangel an ausgebildeten Mechanikerinnen und Mechanikern sowie an Ersatzteilen.
Iris Hansmann kann sich glücklich schätzen: Sie hat per Anfang April einen neuen Velomechaniker gefunden. Es ist ein Quereinsteiger. «Gelernte Velomechaniker zu finden, ist fast aussichtslos», musste die Inhaberin von Velo Imgrüth in Luzern bei der Personalsuche schon fast resigniert feststellen. Die Fahrradmechaniker an der Obergrundstrasse sind seit Corona im Dauerstress. Hinzu kommen die Lieferverzögerungen von Ersatzteilen und neuen Fahrrädern. «Bei einzelnem Zubehör ist mit Lieferzeiten von etwa 14 Monaten zu rechnen», erklärt Iris Hansmann. Mit denselben Problemen haben viele in der Branche zu kämpfen. Dass am 18. März mit Bike World by SportXX in Ebikon ein neues Fahrradcenter der Migros öffnet, wird momentan niemanden verunsichern. Über einen Mangel an Arbeit kann sich kein Fahrradgeschäft beklagen. Velociped ist eines der grössten Fahrradgeschäfte in der Region Luzern. 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind aktuell in der Werkstatt tätig, gesamthaft sind es gegen 30. Aber es sollten mehr sein. Die Fahrradgeschäfte werden momentan von Anfragen für Reparaturen überrannt. «Weil man fast keine gelernten Mechaniker findet, setzen wir seit Jahren alternativ auch auf den Einsatz von motivierten Quereinsteigern und machen damit auch gute Erfahrungen», sagt Cyrill Wiget, Inhaber von Velociped. Schweizweit haben sich mehrere Betriebe zusammengetan und führen nun Crashkurse für Quereinsteiger durch.
Auch Erwin Scheidegger von Velo Scheidegger in Ebikon kennt diese Probleme. «Wir haben aktuell für Reparaturen Wartezeiten von zwei bis drei Wochen», berichtet er. Seit dem Corona-Ausbruch haben er und seine Mitarbeiter rund 30 bis 40 Prozent mehr Aufträge. Auch Erwin Scheidegger ist auf der Suche nach neuem Personal. «Wir haben vor Wochen beim RAV angefragt, sie konnten uns aber ebenfalls keinen Mechaniker vermitteln», erzählt er. Gezwungenermassen muss auch Scheidegger auf Quereinsteiger setzen. «Oftmals benötigen diese anfangs fast dieselbe Aufmerksamkeit wie Lernende und sind so ziemlich teuer.»
Gerade mal acht Abgänger
Ist der Beruf des Fahrradmechanikers also nicht mehr attraktiv, oder weshalb ist es so schwer, an ausgebildetes Personal zu kommen? Die Zahlen der Luzerner Abgänger lassen darauf schliessen. Letzten Sommer haben acht Personen aus Luzern die Ausbildung abgeschlossen, im Jahr zuvor waren es gar nur vier gewesen. Die Luzerner müssen nach Goldau in die Berufsschule, da es in Luzern zu wenig Lernende gibt, um eine Klasse zu bilden. Dort dementiert Rektor Rolf Künzle die Annahme, dass die Ausbildungsrate eine Baisse erleben würde. «Im Jahr 2019 hatten wir mit 30 Lehrbeginnern einen Rekordwert», erklärt er. Einen Tiefpunkt gab es am Berufsbildungszentrum in Goldau letztmals 2001. Damals schlossen weniger als zehn Lernende die Ausbildung ab. Er sieht die Gründe für den Personalmangel im Boom beim Velofahren. «Es gibt viele kleinere Betriebe, die jeweils nur eine Lernende ausbilden können», erklärt er, weshalb die Ausbildungsmöglichkeiten beschränkt sind.
Schon vor Corona ein Problem
Daniel Schärer, Geschäftsführer des Berufsverbands 2rad Schweiz, sagt: «Der Fachkräftemangel ist wie in vielen handwerklichen Berufen auch bei uns spürbar. Es gibt hier nicht ein zweiradspezifisches Problem. Schon vor Corona haben wir eine höhere Nachfrage von Berufsinteressenten registriert. Die Corona-Zeit hat diesen Trend verstärkt», so Schärer. Er bestätigt die Aussage von Rolf Künzle des Berufsbildungszentrums in Goldau: «Die Anzahl Lehrverhältnisse im Beruf Fahrradmechaniker/-in EFZ steigt kontinuierlich. Trotz Corona-Krise starteten im vergangenen August schweizweit am meisten je gezählte neue Lernende die Lehre.»
Über den Berufsbildungsfonds der Zweiradbranche werden Ausbildungsbetriebe finanziell entlastet, um die Ausbildung zu fördern. «Jammern hilft nichts. Unsere Branche muss verstärkt Nachwuchskräfte ausbilden», fordert Schärer. Der Verband hat zur Unterstützung der Betriebe Hilfsmittel für die Schnupperlehre sowie Werbeartikel für die Lehrlingswerbung entwickelt. Mit einer Überarbeitung des Berufsbildes soll der Beruf zudem weiter aktuell und zukunftsgerichtet gehalten werden.
Marcel Habegger