Verkehrsspitzen glätten
Der VCS Luzern hat letzte Woche zum Online-Seminar geladen. Die sachliche Präsentation der Grundidee und Vorschläge für konkrete Umsetzungen dürfte ein paar Gegner ins Grübeln gebracht haben.
Road Pricing: Wer diese neudeutsche Wortkombination an einem Tisch voller stolzer SUV-Fahrerinnen und -Fahrer zur Abrundung einer Autodiskussion fallen lässt, hört oft tiefes Einatmen. Dann wird die vermeintlich pauschal gegen Autoverkehr gerichtete Idee in der Luft zerfetzt mit weltanschaulichen Grundsätzlichkeiten. Die Substanz des Konzeptes ist noch nicht bis zu allen Mobilitätsinteressierten durchgedrungen, die Debatte wird ideologisch geführt, beidseitig. Man darf dem VCS Luzern ein Kränzchen winden, dass er sich mit einem «Webinar» letzte Woche der Thematik mit nüchternem Pragmatismus widmete. Dies vorab durch das Eingangsreferat von Jörg Röthlisberger, dem Direktor des Bundesamts für Strassen Astra. Er sprach immer von Mobility Pricing und warnte von einem exklusiven Road Pricing, das nur den Strassenverkehr betrifft. «Das würde die Akzeptanz bei der Bevölkerung massiv schmälern», erklärte er.
Besteuerung pro Kilometer
Die Kernidee: Mobilität, ob auf der Schiene oder Strasse, privat oder im ÖV wird mit einer elektronisch oder per App erhobenen Pauschale pro Kilometer besteuert, gesamtschweizerisch. Dazu kommen Zuschläge in definierten Perimetern, Städte und ihre Agglomerationen, wenn die dortigen Transportsysteme in den Belastungsspitzenzeiten, am frühen Morgen und Abend, in Anspruch genommen werden. «Wir verteuern ein rares Gut» sagt Röthlisberger, und meint damit den Platz auf der Strasse und im ÖV. Der Effekt soll ein «Glätten der Verkehrsspitzen» bringen, die mobilen Menschen sollen, wenn immer möglich, auf schwächer belegte Zeiten ausweichen. «Das erhöht die Verlässlichkeit unserer Verkehrssysteme.» Diese neue Belastung ersetzt die Mineralölsteuer und die Vignette beim Auto, die aktuellen Billette beim öffentlichen Verkehr. Ein Systemwechsel drängt sich bei der Besteuerung des Strassenverkehrs bis 3,5 Tonnen so oder so auf. Die Elektromobilität schreitet stramm voran und somit entfallen Mineralölsteuern.
Bis zu 21 Rappen
«Die Bevölkerung unseres Landes soll nicht mehr, aber anders für Mobilität bezahlen», sagt Röthlisberger. In einem durchexerzierten Rechenbeispiel für den Kanton Zug skizzierte er die Grössenordnungen. Dabei wurden die aktuell erzielten Erträge der Verkehrsträger auf das neue System umgelegt. Ein Kilometer im Auto würde gesamtschweizerisch mit 6 Rappen belastet. In Spitzenzeiten in den definierten Stadt-Agglo-Perimetern könnte der Preis auf 21 Rappen steigen, in Randzeiten wäre kein Kilometergeld fällig. Beim ÖV wären 20 Rappen fällig, mit Spitzen bei 31 und Randstundentarifen von 14 Rappen. Mehrmals betonte der Astra-Chef, dass ein Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in unserem kleinen Land «nur noch punktuell» möglich sei. Also müssen die bestehenden Verkehrswege effizienter genutzt werden. «Mobilität bleibt bezahlbar, das ist ein wichtiges Postulat», sagte Röthlisberger zum Schluss, was vom Verkehrswissenschafter Ueli Haefeli aufgenommen wurde. «Das System muss transparent und möglichst gerecht sein.» Nur so sei es überhaupt möglich, Akzeptanz für Pilotversuche in der Schweiz zu generieren. Zehn Orte oder Agglomerationen haben beim Bund signalisiert an einem solchem Pilot eventuell mitzumachen. Ob Luzern auf der Liste steht, ist zweifelhaft, hat doch die Regierung einem solchen Ansinnen 2020 eine Abfuhr erteilt. Dennoch war Schmunzeln bei Röthlisberger beim Stichwort Luzern auszumachen. «Wir nennen die Orte für Pilotversuche zu gegebener Zeit», meinte er. Ein Blick auf die Staukarte der Schweiz zeigt unmissverständlich, dass Luzern ein heisser Kandidat für einen Feldversuch wäre. Michael Töngi, Präsident des VCS Luzern und Nationalrat der Grünen, schlug an diesem Web-Seminar ebenfalls überraschend gemässigte Töne an, um der Idee Mobility Pricing in allen Lagern Auftrieb zu verleihen. Er sieht die Massnahme aber dennoch nur als Bestandteil einer zukünftigen Verkehrslenkungspolitik und setzt den Finger auf den Wunsch der Städte, vorab Road Pricing, also nur den Autoverkehr ins Auge zu fassen. «Das zeigt doch klar, wo die grossen Probleme liegen.»
Keine Abkehr vom Neuen
In der anschliessenden Fragerunde wurde spannende Aspekte eingebracht. So das fehlende Element der Förderung alternativer, sprich elektrischer Antriebe. «Da haben die Kantone mit der Motorfahrzeugsteuer Spielraum», erklärte Jörg Röthlisberger. Die Befürchtung, dass der Minderverkehr zu Spitzenzeiten zu einem Zurückkehren zum Auto verleiten könnte, also eigentlich zu Mehrverkehr, wurde von Michael Töngi nicht als Gefahr gesehen. Ein guter Hinweis kam zur Effizienz der Massnahme. Während eine «City-Maut» wie die in Stockholm 90 Prozent der Einnahmen zur Finanzierung des Systems gleich wieder verbrennt, kann ein Mobility Pricing Schweizer Machart die bisherigen Einnahmen aus dem Strassenverkehr 1:1 generieren. Kein System ohne Ausnahmen: Das «Schweizer Kulturgut Generalabonnement» (Röthlisberger) müsste nach strenger Lesart von Mobility Pricing das Zeitliche segnen. «Das wird nicht kommen, das GA wird in einer vielleicht adaptierten Form überleben», ist Michael Töngi überzeugt. Fachleute und Politik haben noch etwas Zeit fürs Feilen und Entwickeln der Idee Mobility Pricing. Michael Töngi rechnete in Kenntnis der Schweizer Fristen für politisch heikle Neuerungen vor, wann das System flächendeckend an den Start gehen könnte: «Das wird 2035.» Es bleibt also noch viel Zeit für Meinungsänderungen.
Andréas Härry