Tom Cruise ist als Maverick am Alpenquai zu sehen
Draufgänger, Actionszenen und Träume von vergangener amerikanischer Grösse: «Top Gun: Maverick» scheint aus der Zeit gefallen. Am Freitag wird er im Open-Air-Kino in Luzern gezeigt – wir verlosen Tickets.
Hach, die Achtziger: ein oft verklärtes Jahrzehnt, in dem knallharter Konservatismus auf lässige Lebensfreude prallte und das Ronald Reagan und die Yuppies ebenso umfasste wie Madonna und Punk, Umweltaktivisten und Aids. Eine Ära zwischen Aufbruch und Apokalypse, voller Widersprüche – ganz ähnlich unserer Gegenwart, wie der deutsche Pop-Kritiker Jens Balzer im Buch «High Energy» feststellte.
Während zwischen den Weltmächten USA und Russland allmählich Tauwetter einsetzte, boomte in Hollywood das Action-Kino. Muskelmänner wie Rambo kämpften gegen das amerikanische Trauma des verlorenen Vietnamkriegs an, ein wortkarger Cop wie John McClane stellte in «Die Hard» Ruhe und Ordnung in der Grossstadt her. Vor allem mit einem Film konnte das amerikanische Militär auf der Leinwand seine Wunden lecken: «Top Gun» von 1986.
Die Aufstiegsgeschichte des unangepassten jungen Wilden Pete Mitchell, genannt Maverick, inmitten einer Truppe von Elitefliegern, katapultierte den Hauptdarsteller Tom Cruise in die Liga der Superstars. «Top Gun», inszeniert vom 2012 gestorbenen Regisseur Tony Scott, vereinte so manch merkwürdige Ambivalenz: den rebellischen Individualismus in Gestalt von Maverick, der dennoch vom Teamgeist gezähmt wird, die Piloten, die häufig in Todesgefahr schweben, ihre Manöver jedoch wie Kinderspiele aussehen lassen.
Und nicht zuletzt eine Hypermaskulinität mit ständig präsenten Insignien (verspiegelte Sonnenbrille, schnittiges Motorrad, Bomberjacke), begleitet von homoerotischen Untertönen, am deutlichsten bemerkbar beim oberkörperfreien Volleyballturnier, einer Siegesparade der männlichen Bauchmuskeloptimierung. «Take my breath away», haucht es in der Synthie-Schnulze der Band Berlin den halben Film lang.
36 Jahre später folgt nach einigen pandemiebedingten Verschiebungen die Fortsetzung «Top Gun: Maverick», erneut mit Cruise. Sie fällt in eine Zeit, in der Hollywood exzessiv von der Vergangenheit zehrt: Kaum noch ein Blockbuster, der nicht Prequel, Sequel oder Remake ist. Aus wirtschaftlicher Sicht geht das Kalkül noch auf, das Publikum liebt das Vertraute, das Nostalgiekarussell dreht sich munter weiter.
Das Gewicht von drei Jahrzehnten
Auch im zweiten Teil von «Top Gun» wird der Kinosessel schon im Vorspann zur Zeitmaschine. Die gelbstichigen Bilder des Treibens auf einem Flugzeugträger, startende Jets, die kontrollierte Betriebsamkeit der Crew, dazu Kenny Loggins’ «Dangerzone»: Willkommen im Jahr 1986, Pardon, 2022! Doch selbst wenn «Top Gun: Maverick» so manche Anleihen beim Vorgänger nimmt, setzt Regisseur Joseph Kosinski noch genug eigene Akzente. Die jugendliche Unbeschwertheit der Achtziger ist weitgehend passé, den Film durchzieht eine drückende Melancholie. Das Gewicht von drei Jahrzehnten amerikanischer Geschichte, inklusive diverser Kriege im Nahen Osten und 9/11, scheint auf den Schultern von Maverick zu lasten. Trotz zahlloser militärischer Auszeichnungen steht er im niedrigen Rang eines Captains und verkörpert damit den Typus des «ehrlichen» Soldaten, der seine Schlachten lieber im Feld als vom Büroschreibtisch aus schlägt.
Die Geschichte verläuft ähnlich wie schon im ersten Teil: Auch diesmal wird Maverick von einem grimmigen alten Admiralsknochen (Ed Harris) zur Eliteeinheit Top Gun mehr oder weniger «strafversetzt» – nachdem er ein Tarnkappenflugzeug zu Schrott geflogen hat. Bei der Elitestaffel soll der Haudegen nun sein Wissen für eine Spezialmission weitergeben, eine Vorbildfunktion erfüllen, die seinem eigenwilligen Naturell konträr gegenübersteht.
Zudem sieht sich Maverick mit seiner Vergangenheit konfrontiert: Einer seiner Schüler, «Rooster» (Miles Teller), ist der Sohn seines alten Freundes «Goose», der in «Top Gun» tödlich verunfallte. Auch eine neue Liebschaft namens Penny (Jennifer Connelly) ist am Horizont aufgetaucht, Kelly McGillis als Ausbilderin «Charlie» ist nicht mehr mit von der Partie.
«Top Gun: Maverick» ist altmodisches Kino im ganzen Wortsinn. Statt Greenscreen und Bildern aus dem Computer kamen echte Flugzeuge zum Einsatz. Tom Cruise bereitete sich mit Navy-Training auf einer kalifornischen Militärbasis auf seinen Einsatz vor. Diese Mühe ist bei den Actionszenen bemerkbar; es fühlt sich an, als sässen wir vor dem Armaturenbrett mit seinen kryptischen Knöpfen und Hebeln.
Die mächtigen Motoren vibrieren, die Tragflächen wackeln, die Geschwindigkeit drückt uns in den Sitz. Nicht zuletzt wegen dieses Statements für die Vorführung auf einer möglichst grossen Leinwand ist der Film aus der Zeit gefallen; auf dem Smartphone angesehen, würde er so nicht wirken.
Kein Bezug zur aktuellen Situation
Trotz aller begeisterten Militärfantasie, die in ihm schlummert, könnte «Maverick» von der geopolitischen Situation der Gegenwart kaum entrückter sein. Lange gedreht vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, vermag er zu dieser Thematik nichts konkret beizutragen, im Gegenteil: Der Film zieht sich komplett aus der Affäre, sobald es um reale Konflikte geht. Der Feind ist ein namenloser «Schurkenstaat», seine Schergen im Cockpit verbergen sich hinter schwarzen Masken. Das Ziel der amerikanischen Bombermission ist eine Urananlage, irgendwo im Niemandsland zwischen Wäldern, Schluchten und schneebedeckten Gipfeln. Zwar wird dem Gegner zugestanden, die überlegene Technik zu besitzen, doch dies macht der amerikanische Heldenmut am Ende des etwas zu lang geratenen Films locker wett.
Dass dieses Szenario pure Fantasie ist, kindlich wie die Schlachtenträume pubertierender Jungs, sagt etwas über das Bild aus, das sich Hollywood von den Vereinigten Staaten im Jahr 2022 macht. Während China längst zu einer neuen Weltmacht aufgestiegen ist, klammern sich die USA noch an eine diffuse, nostalgische Verklärung vergangener Grösse. «Top Gun: Maverick» ist der Schwanengesang einer schwindenden Weltmacht.
Auch Tom Cruise, der Anfang Juli seinen 60. Geburtstag feierte, geht allmählich in den Frühherbst seiner Karriere. Sein Maverick hat sich vom Draufgänger zu einem Mann entwickelt, der Nachdenklichkeit, Reue und Trauer einen grösseren Raum einräumt. Das unverschämte Haifischgrinsen des jungen Cruise ist einem stillen Lächeln und gelegentlich glitzernden Tränen gewichen. Als ahnte er, dass jemand anders bald seinen Platz einnehmen wird. Nur vielleicht nicht heute.
In einer berührenden Szene besucht Maverick seinen früheren Rivalen «Iceman», gespielt von Val Kilmer, der inzwischen Kommandant der US-Pazifikflotte und ein heimlicher Mentor per SMS geworden ist. Kilmer hatte sich als Darsteller in den letzten Jahren rarmachen müssen, er war an Kehlkopfkrebs erkrankt. Nun sehen wir ihn erneut als Iceman, die Figur ebenso von der Krankheit gezeichnet wie ihr Darsteller, ein schweigender Schatten seiner selbst. Iceman tippt in seinen Computer einen Ratschlag für Maverick, den womöglich alle beherzigen können, die in der Nostalgiefalle stecken: «Es ist Zeit, loszulassen.» Maverick antwortet ihm: «Ich weiss nicht, wie.»Tobias Sedlmaier