«Texte schreiben ist ein Tanz»
Sina alias Ursula Bellwald steht am 11. November in der Schüür auf der Bühne. Im Interview mit dem «Anzeiger» spricht sie über die Entstehung ihres neuen Albums «Ziitsammläri», das auf Platz 2 der Albumcharts eingestiegen ist.
Sina, für Ihr neues Album «Ziitsammläri» haben Ihnen viele Leute Texte geliefert. Machte das die Produktion nun einfach oder erschwerte es sie gar?
Ich habe nicht gewusst, auf welch ein Abenteuer ich mich da einlasse, aber hatte während der Pandemie grosse Lust, mit anderen zusammenzuarbeiten. Mir haben die sozialen Kontakte extrem gefehlt. Dazu kam, dass ich keine Songtext-Ideen hatte. Die Musik ist geflossen, die Geschichten aber sind ausgeblieben. Daraus ist die Idee entstanden, mit Autor:innen über die Zeit zu schreiben und die verschiedenen Sichtweisen dazu zu beleuchten
Sie hätten nicht gewusst, worauf Sie sich einlassen, klingt aber eher negativ ...
Im Gegenteil, es war spannend und herausfordernd, da diese Art der Zusammenarbeit für fast alle neu war. Dazu kam, dass Songtexteschreiben ein eigenes Genre ist. Ganz anders, als ein Buch zu schreiben oder einen lyrischen Text. Das war auch die Herausforderung. Und die Inhalte von andern zu meinem eigenen werden zu lassen, was uns wunderbar gelungen ist.
Haben Sie bei allen Texten relativ schnell gespürt, zu welchem Song sie führen könnten?
Franz Hohler (Schriftsteller, Anm. d. Red.)hat eine Reihe Gedichte über die Zeit geschickt. Bei ihm und Jürg Halter (Schriftsteller, Anm. d. Red.) habe ich rein den Text vertont. Andere Texte waren seitenlange Geschichten. Da war auch die Aufgabe, aus diesen vielen Bildern das Passende herauszuschälen.
Wie lief da die Zusammenarbeit mit den Autoren?
Im lebendigen Hin und Her. Es war weniger so, dass Autor:innen mir einen fertigen Text geschrieben haben und ich diesen 1:1 so umgesetzt habe. Aber genau dieses «Über Wörter, Rhythmen und Reime»-Diskutieren war konstruktiv und sehr inspirierend.
War es eine neue Situation, dass Ihnen keine Texte in den Sinn kamen?
Texte schreiben ist für mich immer etwas ein Tanz. Das Leichtfüssige und Inspirierte gelingt mir sehr einfacher, wenn ich Musik mache. Dieses Mal erschwerte die Pandemiesituation das Schreiben zusätzlich. Positiv war in dieser Zeit, dass alle angefragten Mitschreiber:innen eben auch Zeit hatten und daraus jetzt mein erstes Themenalbum entstanden ist.
Hatten Sie das so schon öfters erlebt, oder war das eine neue Erfahrung, keine Ideen zu haben?
Texten ist der zähflüssigere Teil und ist manchmal mühsam, wenn über Wochen kein einziger befriedigender Satz zustande kommt. Auf der anderen Seite: Wenn man dann in den Fluss kommt und die Worte anfangen, sich mit der Musik zu verbinden, ist das ein persönlicher Erfolg. Ich texte grundsätzlich gerne, es braucht einfach Zeit. Und dieses Mal kam einfach nichts.
Sie wollten ja auch nicht wirklich Texte über die Pandemie auf dem Album haben ...
Genau, bei Texten wie «Rosa Rose» zum Beispiel geht es darum, sich einen Tag Zeit für sich zu nehmen und die Welt auch mal aussen vor zu lassen und sich auf das Schöne zu konzentrieren. «Ziitsammläri» wiederum beschreibt den Fredi, der bei Skirennen stets parat ist und mit der Schneeschaufel die Hundertstelsekunden einsammelt, die die Fahrer in den Kurven liegen lassen. Im Frühling taut Fredi diese gesammelte Zeit in der Wanne auf, um darin zu baden. Alles in allem ist das Album ein Strauss an bunten Geschichten geworden, fröhliche, irrwitzige, auch berührende. Und dann möchte ich das Album auch noch in zehn Jahren hören können, ohne zu sagen: Ach ja, das war ja das Pandemie-Album.
Zeit ist in allen Songs ein Thema. Sind Sie jemand, der oft zurückblickt?
Ich habe eine melancholische Ader, aber blicke meist gespannt in die Zukunft. In Erinnerungen zu schwelgen mit Menschen, die Dinge mit mir erlebt haben, finde ich etwas Schönes. Dann ist es mir aber wichtig, nach vorne zu blicken und zu schauen: Was will ich in Zukunft anders machen, oder welche Bedürfnisse sind noch da?
Vergleichen Sie die Alben miteinander? Und gibt es Momente, in denen Sie während der Produktion am neuen Album zweifeln?
Ich würde es nicht Zweifeln nennen, eher ein regelmässiges Überprüfen, ob die Richtung noch stimmt. Änderungen gibt es ja immer bis ganz zum Schluss der Produktion. Und natürlich frage ich mich manchmal, ob die eben getroffene Entscheidung besser ist für das Album oder man es hätte sein lassen. Vergleichen tu ich die Alben aber nicht, jedes steht für sich selbst. Ob es sich besser oder weniger verkaufen lässt, kann ich im Voraus ja eh nicht beurteilen, da setze ich eher einfach auf mein Gefühl. Manchmal lasse ich einen Song auch etwas beiseite, nehme ihn dann wieder hervor und schaue, ob er ins Album passt.
Produziert wurden viele der Songs im Grandhotel Giessbach (Brienz BE). Weshalb dort und nicht in einem gewöhnlichen Studio?
Ich hatte schon länger Lust, mich mit meinen Musiker:innen an einen Ort zurückzuziehen und ohne Ablenkung in die Musik einzutauchen. Die letzten 13 Alben wurden in Studios aufgenommen. Dieses Mal haben wir das «Giessbach» zum Studio umfunktioniert.
Weshalb gerade das Grandhotel?
Durch eine Nebenbemerkung des Gastgebers bei einem Konzert, das wir im Grandhotel gegeben hatten. Er sagte zu uns: «Hier kann man übrigens auch mal Songs schreiben, wenn ihr wollt, oder Demos aufnehmen.» So haben wir das geschlossene Hotel für zehn Tage zu unserer Spielwiese erklärt. Akustisch war es eine Herausforderung. Der Ballsaal ist wunderschön, aber hallt sehr stark.
Es hat aber dennoch geklappt ...
Ja, aber nur mit Hilfe einer lokalen Schreinerei, die für uns Akustiktrennwände gezimmert hat. Es hat dann zwar nicht mehr so schön ausgesehen (lacht), aber der Sound war super. Der Mehraufwand für alle Beteiligten war zwar beträchtlich – trotzdem war es ein Highlight für uns alle.
Also wird das nächste Album wieder in einem Hotel produziert?
Wer weiss? Der gegenseitige Austausch und das Ausbrechen aus der Studioroutine waren sehr inspirierend. Ob ich wieder eine Produktion an einem solchen Ort machen werde, werden wir sehen. Für dieses Album war diese Zeitinsel am Brienzersee perfekt.
Marcel Habegger