«Sie waren ziemliche Chaoten»

Isabelle Flachsmann hat drei Jahre am Broadway gespielt. Die wohl bekannteste Schweizer Musical-­darstellerin spricht im Interview über den Reiz an der Rolle von Rachel im Musical «The Greatest Days».

Zweimal «Rachel»: Isabelle Flachsmann (rechts) begegnet im «Take That»-Song «Back for Good» ihrem Ich von 1994, gespielt von Debora Lüscher. Bild: Andréas Härry

Isabelle Flachsmann, Sie haben mit «Die Bremer Stadtmusikanten reloaded», das am Samstag in Zürich angelaufen ist, und «The Greatest Days», das Mitte Dezember im Le Théâtre in Emmen Premiere feiert, aktuell gleich zwei Musicals am Start.

Ja, das stimmt. Im Moment ist gerade viel los. Aber heute habe ich mal einen halben Tag frei.

Sie sind Darstellerin, Autorin, Regisseurin und Choreografin. Fällt Ihnen der Rollenwechsel von der Autorin bei «Die Bremer Stadtmusikanten» zur Darstellerin bei «The Greatest Days» im Le Théâtre leicht?

Es ist für mich was ganz anderes. Wenn ich ein Buch schreibe oder Regie führe, bin ich ganz im Kopf, ich lebe dann quasi in einer Fantasiewelt oder bin eine Beobachterin. Wenn ich auf der Bühne stehe, versuche ich natürlich, möglichst bei mir selbst präsent zu sein. Einerseits ist es ein Vorteil, wenn man auch die andere Seite kennt. Andererseits muss man schon aufpassen, dass man nicht versucht, für die andere Seite mitzudenken und das Gesamtbild zu erfassen, denn das ist manchmal gar nicht möglich.

Kürzlich haben Sie in einem Interview gesagt, Sie seien froh, nicht immer auf der Bühne zu stehen und mal etwas früher nach Hause zu kommen. Nun stehen Sie trotzdem wieder auf der Bühne, weshalb?

Zum Le Théâtre habe ich ja schon lange eine Verbindung. Ich habe dort auch schon Sally Bowles in «Cabaret» gespielt oder verschiedene Stücke inszeniert wie beispielsweise die deutschsprachige Erstaufführung von «Flashdance». Mit meiner Musik Comedy Formation, den «Exfreundinnen», machen wir aktuell gerade eine Pause, deshalb hat es auch zeitlich gut gepasst. Und die Rolle finde ich spannend.

Was ist spannend?

«The Greatest Days» hat wirklich schöne Schauspielszenen und ist sehr berührend. Es hat auch spannende Rollen für Frauen über 40. Es gibt nicht viele Musicals, in denen die Frauen über 40 nicht entweder eine Hexe oder eine Nonne sind. Zudem ist es meine erste Rolle, bei der Tanzen kein tragendes Element ist, würde ich sagen. Es ist cool, mal eine Rolle zu spielen, die sich vor allem über das Schauspielerische definiert.

Sind Take That eine Band, die Sie damals tatsächlich angehimmelt haben?

Nein, im Gegenteil. Ich habe Ihnen damals gar eine Platin Schallplatte überreichen dürfen nach einem Auftritt im Kaufleuten in Zürich. Howard (Howard Donald, die Red.) hatte damals Geburtstag, und wir hatten ihm noch ein Ständchen gesungen. Die waren damals ziemliche Chaoten, vor allem Robbie Williams, der hatte an diesem Tag gar noch irgendeinen Unfall.

Ist der Kontakt zur Band geblieben?

Nein, der Kontakt war durch einen Kollegen entstanden. Ich glaube, er hat heute noch mit dem einen oder anderen Kontakt. Ganz ehrlich, ich fand die damals eher etwas doof. Ich habe erst jetzt realisiert, was die Jungs alles auf dem Kasten hatten. Das waren und sind wirklich tolle Songwriter und Performer, alle fünf. Sie haben sich für mich aber nicht wie Weltstars angefühlt. Die Klasse, die sie eigentlich hatten, habe ich erst jetzt richtig erkannt. Ich hatte einmal kurz einen «Take That»-ähnlichen Moment, als ich einen Plattendeal in Deutschland hatte und bei einem Auftritt im Hallenstadion weinende Mädchen meinen Namen schrien, das war extrem surreal. Wenn man das jeden Tag erlebt, ist es sicher nicht einfach, sich nachher wieder im Alltag zurechtzufinden.

Sie sind 50 Jahre alt. Take That hatten Ihre grössten Zeiten vor 30 Jahren. Gab es Momente, in denen Sie beim Proben dachten: «Krass, wie die Zeit vergangen ist»?

Ich habe nicht das Gefühl, das ist ewig her. Es ist auch total reizvoll und spannend, mit jemandem wie Deborah Lüscher, die mein junges Ich spielt, so nahe gemeinsam eine Figur zu kreieren. Wenn ich die tollen jungen Performer sehe, denke ich mir aber schon auch: «Wow, die könnten eigentlich meine Kinder sein!»

Erinnert Sie dies auch etwas an Ihre Jugend zurück?

Es ist wie ein schönes Wiederauflebenlassen von dieser Zeit mit den Teenagergefühlen voller Mut, Abenteuerlust und Zuversicht.

Widerspiegelt die Rolle irgendwo auch Sie selbst?

Als Teenager habe ich die Welt vermeintlich viel klarer gesehen. Ich hatte wirklich das Gefühl von «Alles ist möglich». Mit den Jahren realisiert man natürlich, was alles schiefgehen kann und dass man ein sehr fragiles Wesen ist und das Glück nicht selbstverständlich ist. Meine Figur hat ein sehr einschneidendes Erlebnis, dadurch hat sie später nichts mehr gewagt, sie ist damit komplett anders als ich. Auch hat sie diesen Traum von der weissen Hochzeit und von der ewigen Liebe. Diese Träume hatte ich als Jugendliche gar nicht, ich wollte einfach nach New York an den Broadway und konnte mir auch vorstellen, vielleicht gar nie zu heiraten und keine Familie zu gründen. Diese Mentalität war notwendig, sonst hätte ich es nicht dahin geschafft.

Heute sind Sie aber verheiratet und haben einen Sohn ...

Bei mir kam erst später der Wunsch auf, dass sich nicht alles um die Karriere dreht, sondern eine Familie zu gründen sei und nicht alle zwei Jahre in einem anderen Land zu leben. Ich habe meinen wunderbaren Mann getroffen – übrigens am Geburtstag des Kollegen, mit dem ich damals für Take That gesungen habe – es gibt in dem Sinne also schon Berührungspunkte zu meiner Rolle (lacht).

Die Freundinnen haben nach Jahren der Funkstille wieder Kontakt. Leben die Freund­schaften wieder auf?

Ja, dank dieser Freundschaften werden diese Frauen innerlich wieder frei. Übrigens wunderbar gespielt von Rahel Fischer, Irène Straub und Justyna Karpinski. Sie versöhnen sich mit ihrem jüngeren Selbst. Freundschaft ist die beste Medizin. Neben all der Comedy hat «The Greatest Days» eine total universelle und berührende Message – wenn wir unsere Sache richtig machen, muss das Publikum die Taschentücher zücken.

Interview: Marcel Habegger

 

«Greatest Days» – s’offizielle «Take That»-Musical:

von 14. Dezember 2023 bis 21. Januar 2024 im Le Théâtre, Emmen. Kombi-Angebote Nacht­essen/Musical, Spezialvorstellung an Silvester. Informationen und Vorverkauf: www.le-theatre.ch.

Weitere Artikel zu «Region», die sie interessieren könnten

Region26.02.2024

Adieu, «Anzeiger Luzern»

Vom englischen Königshaus, von einem Podium unter Polizeischutz, Weltstars wie Anne-Sophie Mutter oder Joss Stone bis zum «falschen» Barenboim: Nach vielen…
Stadt Luzern: besseres Rechnungsergebnis
Region26.02.2024

Stadt Luzern: besseres Rechnungsergebnis

Für das Jahr 2023 verzeichnet die Stadt Luzern einen Gewinn von 80 Mio. Franken, obwohl ein Verlust von 31,2 Mio. Franken budgetiert war.
Tourismus Luzern: fast komplette Erholung
Region26.02.2024

Tourismus Luzern: fast komplette Erholung

In der Stadt Luzern haben im Jahr 2023 20,8 Prozent mehr Gäste übernachtet als im Vorjahr und 3,9 Prozent weniger als 2019.