Rotzfrech, mit Kaugummi

Wenn man sämtliche inhaltlichen Möglichkeiten des Werks lustvoll stark aufbläht, entsteht aus der populärsten ­Richard-Strauss-Oper eine musikalische Komödie. Geht das? Und wie!

Sophie (Tania Lorenzo Castro) zerlegt wortwörtlich den Rahmen ihres bisherigen Lebens. Bild: Ingo Hoehn

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Ein Abend voller Glanz für LT-Intendantin Ina Karr, zusammen mit dem Luzerner Tenor Mauro Peter, der im «Rosenkavalier» eine voreingespielte Arie singt.

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Stefan Vogel (l.), Betriebsdirektor LT, mit David Keller, Geschäftsführer der Arthur-Waser-Stiftung, die das LT und den Weg zu einem neuen Theaterhaus massgeblich unterstützt.

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Verena Krauer und Franz Bosshard, der die Machbarkeitsstudie und die Testplanung zum Neuen Luzerner Theater verfasste.

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Stadträtin Manuela Jost besuchte die viel bejubelte Premiere mit Lebenspartner Dominique Criblez.

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«Ihr werdet überrascht sein!», meinte der kaufmännische Direktor Adrian Balmer (l.) des LT beim Apéro, zusammen mit Regisseur Tobias Kratzer, Intendant der Hamburgischen Staatsoper ab 2025.

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V. l.: Jürg Meyer, Beirat des LT-Stiftungsrates, Ehefrau Sibylle, Birgit Aufterbeck Sieber, ehe­m. Stiftungsratspräsidentin LT, Marc-André Roth, ehem. Prorektor Berufsschule Luzern.

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«Zu lange her, um festzustellen, ob ich familiär mit dem Komponisten etwas zu tun habe», meinte Adrian Strauss – mit Schauspielikone Heidi Maria Glössner.

«Zu lange her, um festzustellen, ob ich familiär mit dem Komponisten etwas zu tun habe», meinte Adrian Strauss – mit Schauspielikone Heidi Maria Glössner.

V. l.: Gabriela Christen, Stiftungsratspräsidentin Luzerner Theater, Philipp Zingg, Präsident Theaterclub Luzern, mit Ehefrau und Psychotherapeutin Marie-Claire Zingg-Wüest.

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Sie haben sich vor 48 Jahren im Sandkasten kennen gelernt: Kathrin Krammer (links), Ehefrau von Stapi Beat Züsli (der am FCL-Match weilte), und die Juristin Caroline Mathis.

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Das markante musikalische Leitmotiv des «Rosenkavaliers» erklingt in der Ouver­türe, der Vorhang geht einen Spalt auf. Der junge Octavian (Solenn Lavanant Linke in der Hosenrolle, also als Frau einen Mann spielend) und die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg (Eyrún Unnarsdóttir) beim wilden, eindeutigen Liebesspiel im Wasserbecken. Sofort schliesst der Vorhang wieder. Mit vielsagendem Blick steckt sich davor die immer auf der Bühne präsente Kammerzofe Mariandl (Valérie Junker) eine an, die Zigarette dazu, quasi. Das ist der einzige Moment des Abends, an dem die – sagen wir es vorab – herausragende Regiearbeit von Lydia Steier und Matthias Piro mit kurzer Pietät wegschaut.

Ab jetzt wird dicht draufgehalten, was auch immer den Protagonisten auf der Bühne einfällt an Sinnlichem, Bösem, Querem. Die Kreativen am Luzerner Theater haben die vielfach zweideutigen Liedtexte von Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal eindeutig gemacht. Sie unterscheiden sich damit herrlich positiv von den meisten zeitgenössischen Theaterarbeiten, in denen Regieteams nach ihrem Gusto klassische Werke umdeuten, «neu sehen». Steier und Piro nahmen die Texte wörtlich, potenzierten sie aber in der Umsetzung mehrfach, was logischerweise sehr viel schrägen Humor und Komödiantisches in diese Oper rund um wilde Liebeleien im Rokoko-Zeitalter (Mitte 18. Jh.) schaufelt.

Textkompatibles Sadomaso

So beklagt die in die Ehe gezwungene Sophie (Tania Lorenzo Castro) im zweiten Akt nicht nur ihr Leid, sondern zerlegt dazu – im T-Shirt mit dem Aufdruck «Only I Do It With Consent» – auch die Bühneninfrastruktur. Der #meetoo-unberührte, dauererregte Lüstling Baron Ochs auf Lerchenau (Christian Tschelebiew) wird im dritten Akt, erstaunlich textkompatibel, an die Sadomaso-Kette gelegt und von Octavian, im Kostüm einer Kammerzofe, passend «bearbeitet». Dass auch Jungfer Marianna (Antonia Bourvé) und der Polizeibeamte (Vladyslav Tlushch) den Rock lupfen respektive die Hosen runterlassen, sind die Miniübertreibungen dieser süffigen Regie. Die Gefahr der Peinlichkeit wird gebannt durch ein Theater-im-Theater-Konzept. Die Zuschauenden werden nicht ins Zeitalter der Maria Theresia mitgenommen, sondern erleben auf der Bühne, wie die «Rosenkavalier-Show», mit sichtbaren Technikern, offenen Umzügen, Blick auf die Scheinwerfer, live vor ihren Augen zusammengeschustert wird, ein cleverer Schachzug. Dazu passend das Kostümkonzept: mächtiges Rokoko, wenn mit Augenzwinkern «die alten Zeiten» karikiert werden. Shirt, kurze Hosen oder Kittel, wenn etwas Modernität in die Texte fliesst, in die Zukunft geschaut wird.

Das umtriebige Geschehen auf der Bühne fordert die Darstellenden, überfordert sie gesanglich aber keinesfalls. Alle Solisten stammen aus dem aktuellen Ensemble des Luzerner Theaters. Der gesangliche Level ist durchs Band grossartig. Warm und souverän Eyrún Unnarsdóttir, sonor-charmant Christian Tschelebiew, berührend Solenn Lavanant Linke. Eine Spezialovation für Tania Lorenzo Castro als Sophie. In vielen «Rosenkavalier»-Inszenierungen eine schwächlich-devote Figur, wird sie hier in Luzern als rotzfrechen Twen mit Kaugummi positioniert, was die zierliche Spanierin gesanglich und in der Haltung auf den Punkt bringt. Statt hier ins Konzert der Klagen über das zu kleine Theater einzustimmen, darf ein positiver Punkt dieser Tatsache herausgestrichen werden: Die für 100 Musiker:innen geschriebene Originalpartitur von Strauss wird in Luzern von 38 Instrumentalisten des LSO unter der Leitung von ­Robert Houssart bestritten. Statt der spätromantischen Mächtigkeit des Originals (Uraufführung 1911) hören die Gäste ein spannendes, filigranes Klangbild mit vielen Solopassagen in den Streichern, dafür wenig Druck von der Bläsersektion.

Sound mit Charme

Ein Klavier ist überraschend ein Teil des Klangkörpers. Dieser operettenhafte «Sound» entfaltet seinen ganzen Charme beispielhaft im Duett Octavian und Sophie im zweiten sowie im Terzett der Genannten zusammen mit der Feldmarschallin im dritten Akt. Die Musik des «Rosenkavaliers» ist auch in dieser Besetzung ein Strauss’sches Meisterwerk, mit angedeuteten Reminiszenzen an Mozart, über den Wiener Johann Strauss bis Wagner. Der im zweiten Akt humorig zelebrierte Wiener Walzer wird von der Regie mit einer herunterfahrenden Discokugel begleitet, das Dancing der Maria-Theresia-Epoche. Eine weitere gelungene Idee dieser Inszenierung, die mit ihrem frechen, aber kohärenten Konzept zeigt, dass Regietheater ein Werk nicht verunstalten muss. «Rosenkavalier»-Habitués ohne Scheuklappen müssen diese Inszenierung unbedingt in ihr Portfolio aufnehmen. «Rosenkavalier»-Novizen, vorab junge Menschen, erleben im Luzerner Theater, wie lustvoll, unterhaltend und aktuell klassische Oper sein kann. Die Standing Ovations, die Begeisterungsrufe der Premiere waren nicht gestohlen.

Andréas Härry

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