«Man darf auch als Frau stolz sein»
Der Frauenanteil im Kantonsrat ist rund 40 Prozent. Im nächsten Frühjahr sollen die 50 Prozent erreicht werden. Am Donnerstag fanden in der Hochschule Luzern Workshops statt, um Frauen die Ängste vor einer politischen Karriere zu nehmen.
In verschiedenen Workshops war das Ziel des Vereins Frauen-Luzern-Politik, Ängste gegenüber einer politischen Karriere abzubauen. Dazu konnten sich die Teilnehmenden in sechs verschiedene Workshops einschreiben und dabei bereits aktiven Politikerinnen Fragen stellen. Im Workshop «Ehrengast und Shitstorm, Umgang mit öffentlicher Kritik» berichteten beispielsweise Ylfete Fanaj (SP) und Andrea Gmür (Mitte) von ihren Erfahrungen, beim Thema «Quotenfrau – Arbeiten in einem Männergremium» waren Ursula Berset (GLP) und die Gemeindepräsidentin von Emmen Ramona Gut-Rogger (FDP) zu Gast.
Anders als beim letzten Workshop vor vier Jahren sind rund zwei Drittel der knapp 50 Teilnehmenden bereits politisch aktiv, beim ersten Workshop war die Mehrheit noch politisch unerfahren gewesen. Damals war beispielsweise auch Laura Spring dabei, heutige Kantonsrätin der Grünen. Sie hatte sich vor vier Jahren an diesem Workshop definitiv entschieden, politisch aktiv zu werden, und sich an diesem Abend den Grünen angeschlossen.
Alt Regierungsrätin Yvonne Schärli hatte damals aus einer Studie zitiert, die untersucht hatte, weshalb Frauen sich nicht politisch engagieren würden «Auf mich hatten einige Punkte, die sie genannt hatte, zugetroffen», erinnert sich Spring. «Das hat mich motiviert, meine eigenen Gründe zu analysieren. Ich hatte Respekt davor, mich einer Partei zu verpflichten, weil es mir wichtig ist, eigenständig zu denken. Das ist aber bei den meisten Parteien sehr gut möglich, wie ich nun weiss. Ebenso hatte ich Respekt davor, mich öffentlich zu exponieren. Der Austausch mit den erfahrenen Politikerinnen hat mich aber bestärkt, dass das durchaus machbar und eine interessante Herausforderung ist.»
Anders sieht dies bei Claudia Dünki aus, die noch unentschlossen ist, ob sie eine politische Karriere in Angriff nehmen will. Angst, nicht bestehen zu können, habe sie nicht. «Ich bin es gewohnt, mich in einer Männerdomäne zu behaupten», so die Zentrumsleiterin an einer Hochschule. Weshalb hat sie den Schritt also noch nicht gewagt? «Wenn ich etwas mache, will ich es mit vollem Einsatz machen. Noch bin ich unsicher, ob ich dieses Commitment geben will», erklärt die Krienserin. Nationalrätin Ida Glanzmann (Mitte) und Judith Schmutz (Grüne) berichten bei ihren Referaten sehr persönlich über ihren Weg in die Politik und ihre Erfahrungen. «Am Anfang wusste ich ehrlich gesagt den Unterschied zwischen Legislative und Exekutive nicht», berichtete etwa Ida Glanzmann. Und Judith Schmutz meinte: «Zu Beginn habe ich mich bei Kandidaturen immer wieder gefragt: Wieso ich, es gäbe doch noch bessere Leute.» Es habe Zeit gebraucht, bis sie sich sagen konnte: «Ich bin motiviert, ich weiss, dass ich das kann, und bin auch genug für dieses Amt. Man darf wirklich auch als Frau sagen: Ich bin stolz, ich kann das, und ich stürze mich in dieses Abenteuer», so Schmutz.
Da die Medien zu den Workshops nicht zugelassen waren, um sicherzustellen, dass die Politikneulinge ihre Fragen auch wirklich stellen, gaben die Workshop-Gäste aus Stadt und Agglomeration im Anschluss alle einen Tipp für Personen, die sich Gedanken über einen politische Karriere machen.
Marcel Habegger
Ylfete Fanaj, Kantonsrätin (SP): Was haben Sie für einen Tipp für Frauen, die in die Politik einsteigen möchten? Einfach machen. Ich merke, viele haben den Eindruck, Politik sei streng und man werde oft kritisiert. Es gibt aber auch extrem viele schöne Seiten an der Politik. Man begegnet vielen Leuten und kann auch Positionen erklären. Jede Erfahrung, auch wenn es mal eine negative ist, kann man für die Zukunft nutzen. Man muss auch nicht alles können. Wenn ich an meinen Start zurückdenke, wäre einiges einfacher gewesen, wenn ich das Ganze etwas gelassener genommen hätte.
Helene Meyer-Jenni, alt Gemeindepräsidentin Kriens und ehemalige Kantonsrätin (SP): Wie netzwerkt man richtig? Das Netzwerken muss in einem relativ grossen Kontext betrachtet werden. Frauen haben neben dem Beruf und der Familie oder einem Verein oft auch Kontakte über die Kinder, Freiwilligenarbeit, Kultur und Sport. Diese Netzwerke können auch bespielt werden. Frau darf sich getrauen, klar zu sagen: «Ich kandidiere.» Es muss nicht immer eine Mitgliedschaft in einem Serviceklub sein. Agil und aufmerksam sein, aber auch einmal Position beziehen. Mutig, unerschrocken und freudig wagen und nicht immer von allen geliebt werden zu wollen, das wären meine Tipps.
Claudia Huser, Kantonsrätin (GLP): Gibt es ein «Drehbuch», wie man als neue Politikerin die Wahlchancen erhöhen kann Da hat jede Partei ihre eigenen Tipps und Tricks. Vorteil haben sicher vernetzte Personen, Leute, die in Vereinen tätig sind. Es heisst aber sicher nicht, dass man wegen der Wahlen einem neuen Verein beitreten soll. Ein anderer Rat ist: Wer auf Social Media bereits aktiv ist, soll dies weiterführen. Damit wegen eines Wahlkampfs zu beginnen, macht aber wenig Sinn und kann eher kontraproduktiv sein.
Andrea Gmür, Ständerätin (Die Mitte): Wie verschaffen Sie sich Gehör im männerdominierenden Ständerat? Man muss dossiersicher sein, auch mal den Mut haben, Unpopuläres zu kommunizieren, und mit Kritik umgehen können. Die Männer waren lange unter sich, sie funktionieren allein anders, als wenn Frauen dabei sind. Wenn man in der Kommission das Gleiche sagt wie ein Mann, wird vor allem das Votum des Mannes registriert. Mit einem Augenzwinkern wage ich zu behaupten, dass Ständeräte zuerst am liebsten sich selbst sprechen hören, als Zweites anderen Männern und erst an dritter Stelle Frauen zuhören. Es braucht Zeit, bis sich dies ändert.
Ramona Gut-Rogger, Gemeindepräsidentin Emmen (FDP): In welchen Situationen wünschen Sie sich eine weitere Frau im Rat, und welchen Nutzen hätte die Gemeinde davon? Für diese Frage bin ich die falsche Person. Es braucht die richtigen Personen mit den richtigen Kompetenzen unabhängig vom Geschlecht.
Maria Pilotto, Grossstadträtin (SP): Sie haben zwei Kinder – wie bringen Sie Familie, Beruf und Politik unter einen Hut? Ich habe ein gutes Netz an Personen, die mich unterstützen, dazu gehören mein Partner, aber auch die Grosseltern, eine Kita und ein Arbeitgeber, der das möglich macht. Gleichzeitig geht es für mich auch immer wieder darum, die verschiedenen Rollen, die man hat, auch sichtbar zu machen. Also auch mal mit den Kindern an einen Apéro oder an einen Parteitag zu gehen. Ich musste aber auch Lehrgeld bezahlen und lernen, dass dann andere Leute über einen sprechen, wenn man zum Beispiel die Kinder auf einen Ratsausflug mitnimmt.
Korintha Bärtsch, Kantonsrätin (Grüne): An diesem Abend konnte man einige Male hören, Frauen würden Niederlagen persönlicher nehmen. Was war Ihre grösste politische Niederlage, und gehen Sie heute anders mit Scheitern um? Dass die Stadt Luzern das Grundstück am Mattenhof an die Firma Mobimo verkauft hat (2014). Heute sagen mir Politiker:innen von links bis rechts, dass dies eine Fehlentscheidung war. Über solche sachpolitischen Fehlentscheidungen kann ich mich heute auch noch ärgern.