Luzern wird 2000 Jahre älter

Die These der kantonalen Archäologie wurde endlich bestätigt: Das Luzerner Seebecken war einst ein Siedlungsgebiet. 400 Meter vom Seeufer wurde ein versunkenes Dorf aus der späten Bronzezeit entdeckt.

Ein Taucher beim Bergen weiterer Holzpfähle im Luzerner Seebecken. Bild: Elma Softic

Ein Taucher beim Bergen weiterer Holzpfähle im Luzerner Seebecken. Bild: Elma Softic

So sah das Luzerner Seebecken aus. Bild: Swisstopo/Joe Rohrer

So sah das Luzerner Seebecken aus. Bild: Swisstopo/Joe Rohrer

Wer hätte gedacht, dass vor mehreren Jahrhunderten vom Verkehrshaus quer über das Luzerner Seebecken bis ins Tribschen alles grün war? In der späten Bronzezeit (1000 v. Chr.) war nämlich das Seebecken ein trockenes Siedlungsgebiet. Diese versunkene Siedlungsfläche entspricht elfmal der jetzigen Luzerner Altstadt.

Im Zusammenhang mit Bauarbeiten für eine Wasserleitungsverlegung der EWL AG sind im März 2020 zahlreiche prähistorische Holzpfähle ausgegraben worden. Es handelt sich um die erste Luzerner Pfahlbausiedlung am Vierwaldstättersee. «Wir dürfen wirklich von einem kulturgeschichtlichen Paukenschlag reden», so Regierungsrat Marcel Schwerzmann am vergangenen Donnerstag bei der Medienkonferenz. 

 

Luzern schreibt die Geschichte neu

Dass Luzern nicht aus dem Nichts entstanden ist, war bereits früh klar. Über 30 Jahre lang hat die kantonale Archäologie Luzern Indizien gesammelt und die Entwicklung vom Seewasser erforscht. «Die Spuren vom früheren Luzern liegen im heutigen See», so Schwerzmann. Bisher fand man nur vereinzelt verstreute Fundstücke in Luzern aus der Stein- und der Römerzeit. Einige archäologische Überreste in der Altstadt gehen bis ins 10. Jahrhundert zurück, und das frühere Kloster St. Leodegar bei der Hofkirche erschien sogar im 8. Jahrhundert in schriftlichen Quellen. Das Luzerner Seebecken stand demnach schon immer im Fokus der Archäologie. Für die Existenz noch älterer Siedlungen fehlte es jedoch lange an Belegen. Das neu entdeckte Siedlungsgebiet liegt nämlich heute unter der Seeoberfläche. 

Der Seespiegel im Vierwaldstättersee war nicht immer so hoch wie heute, sondern rund fünf Meter tiefer. Zudem erschwerten dicke Sedimentschichten am Seegrund die Spurensuche. Der Bau der Seewasserleitung für das See-Energie-Zentrum Inseliquai der EWL AG brachte jedoch den Durchbruch für einen archäologischen Blick auf dem Seegrund. Der stellvertretende Kantonsarchäologe Fabian Küng sagt zu diesem Meilenstein: «Die Geschichte von der Stadt Luzern darf mit der neu entdeckten Pfahlbausiedlung im Luzerner Seebecken neu geschrieben werden. Wir gewinnen zwei Jahrtausende.»

 

Wenige Meter vom Ufer

Von Dezember 2019 bis Mai 2020 arbeitete sich ein Schwimmbagger 1,1 Kilometer quer durch das Seebecken. Im Auftrag der Kantonsarchäologie wurden die Bauarbeiten durch die Tauchequipe der Unterwasserarchäologie der Stadt Zürich begleitet. Im März 2020 wurden dann die ersten Holzpfähle 400 Meter vom Seeufer aus dem Wasser gegraben. Bevor der Bagger im Seegrund buddelte, bargen Spezialtaucherinnen und -taucher die Holzpfähle und ein paar Fundstücke. Ausgrabungen unter Wasser seien besonders schwierig, denn es dauere alles viel länger und koste einiges mehr, erklärt Andreas Mäder von der Zürcher Unterwasserarchäologie. 

 

Holzpfähle und Keramikscherben

Die herausgefischten Holzpfähle sind aussen weich und innen hart. Zudem sind sie für Behausungen zugespitzt worden, vermutlich mit einem Bronzebeil. Das sei typisch für prähistorische Pfähle, so die Experten. Etwas hat den Archäologen Andreas Mäder dennoch fasziniert: «Das Holz sieht aus, als wäre es erst vor ein paar Tagen gefällt worden. Es ist wie neu.» Er erklärt sich dies mit der Feuchtbodenhaltung und damit, dass kein Sauerstoff durch die Sedimentschichten an das Holz gelang. 

Neben den Bauhölzern kamen auch Keramikscherben zum Vorschein. Diese könnten von Kochtöpfen, Gläsern und Schalen aus der Bronzezeit stammen. «Es gibt zahlreiche Kochtöpfe, bei denen wir Spuren von verkochten Essensresten in den Rillen fanden», sagt Anna Kienholz, Archäologin und Leiterin Ur- und Frühgeschichte. Nach der Datierung der Bauhölzer und der Analyse der Keramikscherben konnte man rasch belegen, dass Luzern um 2000 Jahre älter ist als bisher gedacht. Die Erkenntnis belegt, dass die Lage am Ausfluss grosser Seen seit Urzeiten begehrt war.

 

Die vierte Fundstelle

Die neue Pfahlbausiedlung im Vierwaldstättersee wurde pünktlich zum 10-Jahr-Jubiläum des Unesco-Welterbes «Pfahlbauten» entdeckt. Im Kanton gibt es bereits drei Fundstellen, die zum Unesco-Welterbe zählen: in Egolzwil, in Hitzkirch und in Sursee. Bis weitere Rätsel um das Luzerner Seebecken gelüftet werden, dürfte es jedoch noch etwas dauern, denn die Reste liegen immer noch unter einer dicken Sedimentschicht verborgen. «Es stellt sich die Frage, wie lange es geht, bis wir in Luzern die Jungsteinzeit (1900 v. Chr.) finden und Luzern nochmals älter wird», so Kienholz zur weiteren Prognose. Wie die Forschung zur Stadtluzerner Pfahlbausiedlung weitergeht, sei noch nicht klar. Vorerst bleiben die restlichen Holzpfähle im Wasser.  

Elma Softic

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