Ina Karr im Gespräch mit Fanni Fetzer

Fanni Fetzer, Direktorin des Kunstmuseums Luzern, hat Ina Karr, Intendantin des Luzerner Theaters, über ihre zweite Spielzeit am LT befragt und wollte beispielsweise wissen, ob sie das Publikum am Anfang genauso provozieren wollte wie sie selbst.

Ina Karr spricht mit Fanni Fetzer über die Highlights der kommenden Spielzeit. Bild: Luzerner Theater

Fanni Fetzer: Ina, du warst ja bei meiner Vernissage im Kunstmuseum. Das Material von Polly Apfelbaum (noch bis am 19. Juni im Kunstmuseum Luzern, die Red.) ist eher trashig, gleichzeitig aber auch schön. Mein Anspruch als Ausstellungsmacherin ist immer auch, dem Pittoresken und Barocken dieser Stadt und dieser Gegend etwas entgegenzusetzen. Welche Projekte gibt es in eurer kommenden Spielzeit, die diesen Anspruch auch erfüllen?

Ina Karr: Interessant, dass du dieses Barocke ansprichst, weil das auch ein Theaterthema ist, diese Üppigkeit. Die kann aber ganz unterschiedlich gestaltet sein. Polly Apfelbaum hat beispielsweise so etwas Üppiges, Überbordendes, sehr Farbiges und auch eine Sinnlichkeit. Diese Suche nach Sinnlichem und gleichzeitig nach einer aktuellen Sprache, nach dem aufrüttelnd Gegenwärtigen zieht sich durch unseren Spielplan. Beispielsweise bei der Oper «Der Rosenkavalier», die Regisseurin Lydia Steier inszenieren wird. Sie hat gerade «Perelà» auf die Bühne gebracht, eine Produktion, die du dir unbedingt noch anschauen musst! Lydia Steier hat eine unglaublich üppige Regiesprache und sucht gerade damit immer das Gegenwärtige. Ich weiss noch nicht, wie sie den «Rosenkavalier» inszenieren wird. Aber das ist ja ein Werk, das mit der Endlichkeit spielt und diese grosse Geste braucht. Oder nehmen wir das «Bildnis des Dorian Gray» von Oscar Wilde, wo es um eine Dandy-Gesellschaft geht, die sich selbst feiert und gleichzeitig ihren Abgrund aufzeigt. 

Fanni Fetzer: Vielfalt ist ja Reichtum. Es geht nicht nur darum, eine gesellschaftliche oder politische Forderung zu erfüllen. Im Kunstmuseum zeigen wir eine grosse Vielfalt, medial, in Bezug auf das Alter, aber auch, woher die einzelnen Künstler:innen kommen. Das ist in der Kunst aktuell ein Riesenthema. Diese vielfältigen Stimmen gäbe es auch in der Schweizer oder in der westeuropäischen Gesellschaft. Doch fällt es mir tatsächlich schwerer, diese Positionen hier zu finden: Leute, die in Europa leben und künstlerisch arbeiten, aber nicht aus der Mittelklasse oder einer Akademie kommen. 

Ina Karr: Also du meinst auch eine Diversität hinsichtlich der ethnischen Herkunft? Beispielsweise eine Stimme einer Künstlerin of Colour aus der Schweiz? 

Fanni Fetzer: Ja, oder eine türkische, eine kurdische oder eine tamilische. Diese Stimmen sind in der bildenden Kunst wirklich sehr rar. Vielleicht machen die Kunst, die ich nicht sehe, weil sie woanders stattfindet.

Ina Karr: Das beschäftigt uns auch. Wir führen dazu auch Gespräche mit den Ausbildungsinstitutionen. Wer kommt überhaupt auf die Idee, zum Beispiel Schauspiel zu studieren? Wie führen wir schon die Kinder und Jugendlichen an das Theater heran? Gerade diejenigen, die nicht durch ihre Familie ins Theater begleitet werden. Da gilt es, über Kitas und Schulen einen frühen Zugang zu ermöglichen und dieses Wunderwerk Theater zu öffnen und vielleicht zu dem Gedanken zu inspirieren: «Mensch, das könnte ich ja auch machen!» Deshalb ist es wichtig, die Jugendlichen als eigenständiges Publikum zu sehen und zu beachten, was für sie wichtige Themen sind, und nicht einfach eine kleine «Zauberflöte» zu produzieren. Hast du auch schon eine Ausstellung für Jugendliche gemacht?

Fanni Fetzer: Nein.

Ina Karr: Wäre das mal was?

Fanni Fetzer: Ich überlege gerade ... Es gibt dabei Aspekte, gegenüber denen ich sehr kritisch bin. Wenn man die Kinder trainiert, damit die Kinder dann den Eltern die Ausstellung erklären können, oder ihre eigenen künstlerischen Versuche plötzlich in den musealen Räumen ausgestellt werden, bin ich sehr kritisch. Was uns aber sehr wichtig ist, sind Workshops, damit auch verstanden wird, was Kunst zu machen überhaupt bedeutet, weil man hört gegenüber der zeitgenössischen Kunst oft: «Das könnte ich auch.» Oder gerade im Gegenteil: «Das verstehe ich nicht, dafür bin ich zu dumm.» Weder das eine noch das andere stimmt. Ich habe nie ein Thema speziell für Kinder gewählt, aber ich habe den Anspruch, dass man jedes Kunstwerk kindergerecht vermitteln kann.

Fanni Fetzer: Nun steht deine zweite Spielzeit an. In meinem ersten Jahr hatte ich das Gefühl, ich hätte die totale Narrenfreiheit, denn ich spürte, es wird mir etwas Zeit und Raum eingeräumt, um zu experimentieren. Niemand wird schon nach einem Jahr total kritisch über mein Programm urteilen. Ich habe mit der ersten Ausstellung manche etwas vor den Kopf gestossen, weil sie eher reduziert, fast karg und dafür sehr politisch war. Mein zweites Jahr ist ganz bewusst üppiger geworden. Das hat mir ein stabiles Gefühl gegeben, dass ich im Programm diese Breite abdecken kann. Ich wollte auch etwas Reaktionen provozieren, war das bei dir auch so?

Ina Karr: Wir hatten natürlich wegen Covid-19 einen besonderen Start. Unser erster Impuls war deshalb, gleich zu Beginn aus dem Vollen zu schöpfen, und wir haben mit einem grossen, spartenübergreifenden Abend begonnen, dem «Staatstheater» von Mauricio Kagel. Mein Anliegen beim Zeitgenössischen, ob Schauspiel, Tanz oder Oper, ist schon, etwas zu finden, was sehr sinnlich ist. So laden wir jedes Jahr eine Komponistin ein, die klangvoll mit Material umgeht. Neue Musik wirkt sonst leicht sehr elitär, und dann steigt das Publikum schnell aus. Das, kann ich mir vorstellen, ist fast noch schwieriger als bei der Kunst, bei der dem Besucher oder der Besucherin vielleicht ein Bild nicht gefällt und man dann einfach zum nächsten geht. 

Fanni Fetzer: Und wie geht ihr dann bei einer Planung der Spielzeit vor? Macht ihr da ein Brainstorming, oder gibst du da gewisse Dinge vor?

Ina Karr: Das ist immer ein Puzzlespiel, weil wir mehrere Sparten haben: Oper, Schauspiel, Tanz, Junges Luzerner Theater. Daher setzen wir uns frühzeitig zusammen und überlegen: Was sind zum Beispiel die grossen Stücke in der Oper und im Schauspiel mit vielen Beteiligten, die wir auf die Spielzeit verteilen. Im Tanz machen wir nur Neuproduktionen, was bedeutet, dass wir jeweils drei Monate zum Proben brauchen. Und natürlich schauen wir thematisch, was uns gerade interessiert, und setzen uns regelmässig immer wieder zusammen.

Fanni Fetzer: Bei uns eröffnet im September Shara Hughes ihre Ausstellung. Sie ist in ihrer Karriere noch zu wenig weit, um alle Räume der grossen Wechselausstellungen alleine zu bespielen. Ich finde sie aber eine fantastische Malerin, deshalb wird sie im hinteren grösseren Raum ausstellen. Obwohl dieses Format eigentlich nicht in unseren regulären Rhythmus passt. Was ist für dich in diesem Jahr die grösste Überraschung?

Ina Karr: Da muss meine Antwort eigentlich lauten: alles! Ich bin auf vieles gespannt. Im Schauspiel beispielsweise auf «Bad Girls», dem zweiten Teil unseres «Ring-Ding», in dem wir uns mit Wagners «Walküre» befassen. Das wird ein sehr musikalischer Schauspielabend werden für ein junges und ein erwachsenes Publikum. Beim Tanz bin ich in der neuen Spielzeit besonders auf «Next Matters» gespannt, in der unsere Tänzer:innen von TanzLuzern selbst choreografieren. Dann freue ich mich auf die Komponistin in Residence Maja Ratkje, mit der wir in «Styx-Tours. Ein Rendezvous mit dem Tod» unter anderem zum alten Krematorium fahren und das Thema Tod durchaus auch humorvoll betrachten.

Fanni Fetzer: «Ewig jetzt» heisst euer Programm – entsteht der Titel zu Beginn oder am Ende?

Ina Karr: Ich würde sagen, parallel. Und die Kombination von «ewig» und «jetzt» hat unsere Gedanken gebündelt. Auf der einen Seite die grossen Themen, die uns als Menschen immer bewegen und bewegen werden. Und die im Theater als Live-Kunst immer in die Gegenwart geholt werden. Darüber hinaus hatte ich das Gefühl, es braucht etwas Energetisches. Deswegen haben wir dieses Weitergeben von Gesten und Energien in unserer Fotostrecke im Spielzeitheft widergespiegelt, in der alle unsere Bühnenkünstler:innen zu sehen sind. 

Fanni Fetzer: Ich finde es als Kulturschaffende sehr anspruchsvoll, nicht nur diese Sehnsucht des Emotionalen zu bedienen, sondern auch intellektuell etwas vom Publikum einzufordern.

Ina Karr: Es sind ja oft herausfordernde Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Es geht nicht nur um die Schönheit und das Emotionale, sondern um unsere Gesellschaft und die Menschen, deren Abgründe und Abstürze. Was zutiefst menschlich ist, wo du emotional reingezogen wirst und dann im besten Fall selbst danach reflektierst. Auch das ist ein spannendes Moment am Theater, mich nach einer Vorstellung mit anderen darüber austauschen zu können. 

Fanni Fetzer: Haben wir etwas nicht angesprochen, was dir wichtig ist?

Ina Karr: Ich finde, dass du gute und treffende Fragen gestellt hast.

Ich fand es ziemlich gut, du hast gute Fragen gestellt.

Aufzeichnung: Marcel Habegger

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