Immer noch ein unbekanntes Tool
Noch immer nehmen viele Leute Ergänzungsleistungen aus Scham nicht in Anspruch oder melden sich viel zu spät an. Dies, obwohl die Ergänzungsleistungen schon seit Jahren fest zum Schweizer Sozialsystem gehören.
Mitte der 1960er-Jahre mussten in der Schweiz sehr viele Leute trotz AHV-Rente mit einem Einkommen unter dem Existenzminimum leben. Anstatt die AHV-Rente einfach für alle anzuheben, hat das Parlament 1965 die Einführung von Ergänzungsleistungen (EL) beschlossen. Die Ergänzungsleistungen waren zunächst als Übergangslösung gedacht und sollten diejenigen unterstützen, welche mit IV- respektive AHV-Rente und Pensionskasse kein Minimaleinkommen erreichten. Sie sollten wieder abgeschafft werden, sobald die IV- sowie die AHV-Rente und die Pensionskasse ein existenzsicheres Niveau erreichten. Da dies aber so nicht umfassend geschah, gelten die EL heute als fester Bestandteil im Schweizer Sozialsystem – zumindest auf dem Papier. Denn in den Köpfen der Bevölkerung sind die EL immer noch nicht als selbstverständlicher Beitrag angekommen, der einem zusteht, wenn man gewisse Faktoren erfüllt. «Wir stellen in unseren Beratungen leider immer wieder fest, dass es Personen gibt, die sich aus Scham oder auch aus Unwissen nicht für den Bezug von Ergänzungsleistungen anmelden», sagt Simon Gerber, Bereichsleiter Sozialberatung bei der Pro Senectute Kanton Luzern. «Der Leidensdruck dieser Personen ist durch ihr enges Budget oft sehr hoch. Wir empfehlen im Zweifelsfall deshalb, unbedingt eine Anmeldung einzureichen», führt er weiter aus.
Auf der Website von Pro Senectute gibt es ein Tool, mit welchem man einfach und unkompliziert eine provisorische Anspruchsberechnung durchführen kann. Die Beratungen werden hauptsächlich vom Bund und von den Gemeinden finanziert und sind daher kostenlos. «Zudem unterstehen wir der Schweigepflicht», versichert Simon Gerber.
EL sind auch bei Eigentum möglich
Berechtigt kann man auch sein, wenn man dies vielleicht nicht erwartet. Beispielsweise ist es theoretisch auch möglich, anspruchsberechtigt zu sein, wenn man Wohneigentum besitzt. «Bei Wohneigentum gibt es verschiedene Faktoren, die für eine Anspruchsberechnung notwendig sind. So wird beispielsweise unterschieden, ob es sich um selbst bewohntes oder vermietetes Wohneigentum handelt oder ob allenfalls auch eine Nutzniessung oder ein Wohnrecht besteht. Auch der Wert der Liegenschaft beziehungsweise die hypothekarische Belastung spielen eine Rolle», erklärt Gerber. Er empfiehlt deshalb, bei knappen Budgets trotz Wohneigentum eine Beratung in Anspruch zu nehmen.
Ein Anspruch auf Ergänzungsleistun-gen wird durch die Ausgleichskasse erst geprüft, wenn das Vermögen unter 100 000 Franken bei Alleinstehenden beziehungsweise bei 200 000 Franken bei Ehepaaren liegt. Wenn das Vermögen höher ist, lehnt die Ausgleichskasse grundsätzlich einen Anspruch ab. Die Ergänzungsleistungen sehen einen Vermögensfreibetrag vor: Bei Alleinstehenden sind dies 30 000, bei Ehepaaren 50 000 Franken. Die Differenz zwischen dem Vermögensfreibetrag und dem effektiven Vermögen wird bei zu Hause wohnenden Personen zu einem Zehntel als Einkommen angerechnet, bei Personen im Heim sogar zu einem Fünftel. «Wir beobachten oft, dass viele Leute den Vermögensfreibetrag von 30 000 beziehungsweise 50 000 Franken bei Ehepaaren mit der Eintrittsschwelle von 100 000 beziehungsweise 200 000 Franken verwechseln und erst eine Anmeldung einreichen, wenn der Freibetrag unterschritten ist. Diese Leute hätten schon viel eher einen Anspruch prüfen lassen können», erklärt Gerber.
Schwierige Situationen
Vorsicht ist auch mit Schenkungen angebracht, denn verschenktes Vermögen wird angerechnet, als wäre dieses noch vorhanden, wobei der Vermögensverzicht mit der Zeit amortisiert wird. «Wir stellen in unseren Beratungen immer wieder ganz schwierige Situationen fest, wo beispielsweise Liegenschaften oder auch grosse Geldbeträge an die Kinder verschenkt werden», sagt Simon Gerber. «Besteht dann, beispielsweise bei einem Heimeintritt, Bedarf nach Ergänzungsleistungen, kann es sein, dass diese aufgrund des aufgerechneten Vermögensverzichts nicht alle Kosten zu decken vermögen. In diesen Fällen muss je nachdem Sozialhilfe beantragt werden. Der Sozialdienst hat dann auch die Möglichkeit, eine Verwandtenunterstützung zu prüfen», erklärt Gerber.
Marcel Habegger
Mehr Infos unter: www.prosenectute.ch/el-rechner