«Ich wollte mich nie in ein Korsett zwingen»

Vera Kaa tritt am Freitag am Stadtfest Luzern auf. Im Interview blickt die Luzerner Sängerin auf ihre 40-jährige Karriere zurück und erzählt, wieso es als Musikerin früher einfacher war.

Vera Kaa freut sich auf das Stadtfest in kleinerem Rahmen. Bild: PD

Vera Kaa, freuen Sie sich aufs Stadtfest? 
Ja, ich freue mich sehr, auf dem schönen Theaterplatz zu spielen. Ich hatte auch schon lange keine Auftritte mehr in Luzern. In meiner Heimatstadt zu spielen, fühlt sich für mich immer wie Heimkommen an.  


Was halten Sie davon, dass das Stadtfest nun in einem kleineren Rahmen stattfindet?

Coronamässig ist es sicherlich besser, wenn das Fest kleiner ist. Und ich persönlich bin sowieso kein Fan von Grossveranstaltungen. Kleiner ist feiner. Ich gehe zum Beispiel viel lieber in kleine Clubs als in grosse Konzertlokale. Ich finde es eine schöne Entwicklung, dass während Corona wieder vermehrt Events im überschaubaren Rahmen entstanden sind. Das ist für mich ein Modell mit Zukunft. 

 

Wie sind Sie generell mit der Stadt Luzern verbunden?

In Luzern liegen meine musikalischen Wurzeln. Wir sind in den 80er-Jahren hier auf die Strasse gegangen und haben mit dem Sedel für die Jugend ein Kulturzentrum erkämpft. Das hat für mich nach wie vor eine ganz besondere Bedeutung. Es ist toll, wie der Sedel auch 40 Jahre später generationenübergreifend erhalten geblieben ist und heute immer noch von der Jugend genutzt wird. 


Ihre Grossmutter hatte eine Pension am Vierwaldstättersee. Dort haben Sie bereits als Kind für die Gäste gesungen. War für Sie bereits damals klar, dass Sie Sängerin werden wollen?

Ja, ich wusste bereits mit drei Jahren, dass ich singen will. Das war für mich einfach logisch: Meine Grossmutter war hochmusikalisch. Durch sie habe ich ganz natürlich den Weg zur Musik gefunden. Sie wiederum hatte die Gabe von meinem Urgrossonkel, der viele Volksgesänge im Muotathal geschrieben hat. Auch mein Sohn fing bereits mit zweieinhalb Jahren an, Schlagzeug zu spielen. Und das, ohne dass ich ihn dazu gedrängt habe. Er hatte einfach ein Gefühl dafür im Blut. 

 

Sie blicken mit 62 Jahren auf eine lange und erfolgreiche Musikkarriere zurück. Sie haben insgesamt zwölf Alben veröffentlicht und mehrere Musikpreise gewonnen. War es schwierig, in der Schweiz diesen Weg zu gehen und von der Musik zu leben?

Vieles war schwierig, vieles war aber auch sehr einfach. Meine Generation war in einer anderen Zeit geboren als heute. Die 80er-Jahre waren gekennzeichnet vom musikalischen Aufbruch. Es gab eine feine, überschaubare Musikszene, die von grossem Zusammenhalt geprägt war. Ich war beispielsweise mit Polo Hofer und Patent Ochsner unterwegs. Man hat sich immer wieder an Konzerten und Open Airs getroffen. Es gab damals noch nicht so ein Überangebot wie heute. 
 


Dann war es früher also einfacher als Musikerin?

Ja, ich bin froh, dass ich in dieser Zeit meine musikalische Karriere aufbauen konnte. Mit dem digitalen Umbruch besteht heute eine regelrechte Überflutung auf dem Musikmarkt. Ich finde es schade, dass Musiker:innen heute mit Castingshow-Formaten sozusagen künstlich zu Stars gemacht werden. Dadurch fehlt ihnen der Weg: Für uns war es ein so grosses Privileg, vor einem kleinen Publikum für 50 Franken zu spielen und uns langsam als Band entwickeln zu können. Solche Möglichkeiten sind heute rar geworden. Auch die Radios spielen nur noch Songs, die drei Minuten lang sind, und haben ihre starren Vorgaben. Dabei gäbe es so viel geniale Musik, die aber nicht in dieses kommerzielle Schema passt und deshalb nicht gespielt wird. Es ist so schade, dass vieles zu einem Einheitsbrei verkommt. 

 

Welche waren Ihre grössten persönlichen Highlights Ihrer Musikkarriere? 

Am Open Air St. Gallen vor 25 000 Menschen zu spielen, war für mich ein ganz besonderer Moment. Ich war damals in der Schweiz noch nicht so bekannt und war total überrascht, als das Publikum meine Lieder mitsingen konnte. Wir schwammen gemeinsam auf einer Welle. Das war unglaublich. Auch in Berlin oder an der Winterthurer Musikfestwoche hatte ich solche Momente. An den Stadtkeller denke ich auch gerne zurück. Ich glaube, manchmal hat es mir Luzern übel genommen, dass ich mich früh nach Zürich abgesetzt habe. Als ich dann nach Luzern zurückkam, um im Stadtkeller aufzutreten, war es für mich wie ein Heimkommen und Sichversöhnen mit diesem Umstand. Im Herzen bin und bleibe ich schliesslich eine Luzernerin. 
 
 

Sie haben von Rock über Musicals bis zu Blues viele Musikrichtungen ausprobiert und sich immer wieder neu erfunden. Haben Sie mittlerweile Ihre musikalische Heimat gefunden? 

Ich konnte und wollte mich nie in ein Korsett zwingen. Deshalb ist wahrscheinlich auch der grosse kommerzielle Erfolg ausgeblieben. Das bereue ich aber nicht. Ich bin stolz darauf, dass ich mich immer an die goldene Regel gehalten habe: Ich singe das, was ich fühle. Und dabei hat jeder Stil seine Berechtigung. Mein Urgrossonkel sagte schon, dass das Kombinieren von verschiedenen Stilen und Einflüssen die Musik ausmache. Ohne dass ich früher diesen Satz von ihm gekannt habe, habe ich intuitiv so gehandelt und immer wieder Neues ausprobiert. Das werde ich auch künftig so beibehalten. 

 

Ihr neustes Album, das sich vom Stil her an der Volksmusik orientiert, widmeten Sie als Hommage Ihrem Urgrossonkel. Was bedeutet Ihnen das Album?

Es hat für mich eine ganz wichtige Bedeutung. Ich konnte dadurch mit meinen musikalischen Wurzeln aufräumen. Früher haben wir oft zusammen mit meiner Grossmutter Volkslieder gesungen. Das sind für mich wunderschöne Kindheitserinnerungen. Als mein Vater gestorben war, wusste ich: Es ist Zeit, dieses Album zu machen. Ich habe darin meine Seele preisgegeben wie noch nie. 


Ist dieses Album sozusagen Ihre musikalische Vollendung oder wird ein dreizehntes folgen? 

Ich hoffe sehr, dass noch ein weiteres folgt. Meine musikalischen Wurzeln sind jetzt auf dem Tisch. Zurzeit arbeite ich an einem Familienprojekt. Zusammen mit meinen Kindern und meinem Ex-Mann verbringe ich viel Zeit im Studio, in dem wir gemeinsam Songs ausprobieren. Das ist ein wahnsinniges Privileg für mich. Es ist schön, dass ich den musikalischen Gral meiner Grosseltern an meine Kinder weitergeben durfte. 

 

Dann folgt mit 64 also noch nicht der musikalische Ruhestand?

Nein, es ist eher ein Unruhezustand (lacht). Solange meine Stimme hält, werde ich auch singen. Und vor einem wunderbaren Publikum auftreten und mich an meinen Konzerten über viele schöne Begegnungen freuen.

Anna Meyer

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