«Ich bin kein extremer Mensch»

Kunz zieht’s 2024 in den asiatischen Raum. Vor dieser Auszeit serviert er ein Album mit konsequent süffiger Musik. Die Melodien gehen herrlich ins Ohr – wie auch die Aussagen des populären Musikers.

Vor seiner Auszeit präsentiert Marco Kunz «reife», vereinnahmende Musik. Bild: Andréas Härry

«Adee, Adee, mer wärdid üs de wider­gseh!», singt Kunz im Refrain des ohrwurmigen ersten Songs seines neusten Werks. Diese Ankündigung wird nächstes Jahr in die Tat umgesetzt. Marco Kunz nimmt eine halbjährige Auszeit. Mit Ehefrau und Kindern, zwei- und vierjährig, geht’s ostwärts, Japan ist das erste Ziel – «dann schauen wir weiter». Zwei Dinge nebst dem Handy müssen mit auf die Reise. «Blévita-Gebäck für die Kinder», lacht der engagierte Papi, «und Musik! Sie wird meine Verbindung mit zu Hause sein, darum heisst mein neues Album ‹Proviant›.»

Und diese Wegzehrung mundet hervorragend. Fast zu gut. Ein Feuilleton-Journalist würde das obligate Haar in der Suppe so formulieren: Kunz erfindet die Popmusik nicht neu. Der Aufbau von Akkordfolgen, die Beats, die Chorsätze versetzen über 50-Jährige in die wohlige Zeit ihrer musikalischen Wurzeln. Kunz und sein Kreativteam (Drummer Manuel Römer, Hackbrettler Chris Pfändler sowie die Songwriter:innen Dabu Bucher, Co Gfeller, Georg Schlunegger) wissen die typischen Elemente des Eighties-Sounds am Synthi und an der Gitarre gekonnt um Varianten mehr zu kombinieren und abzuschmecken. Der Anfang der Nummer «Cabernet Sauvignon» und die Gitarrenpassagen von «Sing, sing!» lancieren in der Zuhörerschaft Quizfragen, welche grossen Eighties-Bands da Pate standen. Wohlverstanden, das ist ein Kompliment! Kunz macht eine Musik, die herrlich süffig mundet, nie erschreckt, aber auch keinesfalls langweilt. Das erwähnte Hackbrett verleiht Up-tempo-Nummern zudem die unverwechselbare Kunz-Visitenkarte. Ein Fan wagte nach dem Durchhören sogar die grosse These: «Sein bestes Album!»

Echt und ungekünstelt

Elogen gehen auch an die Songtexte. Da singt kein Naivling zuckersüss-kitschig über die wilde Leidenschaft, sondern ein Mann in den Mitten des Lebens unter anderem über das Glück einer reifen Liebe, ja des Elterndaseins (unter anderem «Zischtigmorge» und «Chom, mer gäbe d Chind ab», die neue Schweizer Hymne für Elternabende). Alles tönt glaubhaft, «erlebt», echt, ungekünstelt – das weckt viel Sympathie. Der Titel «Ich kämpf mit Blueme i de Hor» geht thematisch andere Wege. Der Song ist eine Ode an eine Frau, die in den Sechzigerjahren erstmals auf die Strasse für ihre Ansichten ging. «Was wir in der Schweiz haben, ist nicht gottgegeben, sondern dem Einsatz von Menschen zu verdanken,» sagt Kunz dazu. Das Wort «Kaiseraugst» fällt im Songtext. Wird Kunz politisch? Heftige Abwehr. «Ich will mit meiner Musik vereinen, nicht noch weitere Pole schaffen, ich bin kein extremer Mensch.» Mit seinen Liedern will er nur «animieren, dass etwas passiert». Lachen, tanzen oder «eben nachdenken». Würde er sich zur aktuellen Stimmungslage in der katholischen Kirche äussern? «Das machen genug andere», ist die trockene Antwort. Das Thema Kirche behandelt Kunz dennoch, mit einem Augenzwinkern, er, der einstige Schulmessesänger. Aus «Halleluja» wird bei ihm «Hallo Julia!», eine Nummer, die alle Ingredienzen hat, um an einem Livekonzert den Saal zum Kochen zu bringen. In E-Dur mit klassischem Orgelintro startend, schraubt sich die Gospelnummer halbtonmässig in die Höhe. Die geschmeidig ins Ohr gehenden Chorsätze und der mitreissende Beat sind schwer wieder aus dem Hirn zu peitschen. Die zwei Schlussnummern des Albums lassen einen schmunzeln. Da stellt sich Kunz einerseits in den Dienst des grossen orangen «M» und besingt Kulinarisches «us de Region». Andererseits bekommt der Innerschweizer Schwingsport seine PR-Melodie («Mi­tenand») verabreicht. Ja, diese beiden Texte kommen heftig spotmässig daher, aber das verzeiht man Kunz mit besagtem Schmunzeln. Der Mann «mitten im Leben» muss schliesslich auch Krankenkasse bezahlen.

An der Spitze verharren

Wenn eines der prägendsten Unternehmen der Schweiz auf die Strahlkraft eines Künstlers setzt, ist das auch ein Ritterschlag. Was will Kunz noch Zusätzliches reissen in diesem Land, wo er als Musiker schon alles erreicht hat, dessen Grenzen er – solange Mundart Songsprache ist – kaum sprengen wird? «Dass es so bleibt, wie es ist.» Im Falle von Kunz heisst das: an der Spitze verharren. «Es braucht enorm viel Energie, um qualitativ da zu bleiben, wo ich bin», sagt er reflektiert. Darum die Auszeit, «damit ich den Spass nicht verliere». Zehn Jahre lang war Marco Kunz quasi ununterbrochen im Studio oder auf Achse für seine Musik. Das Album «Proviant» strahlt die Reife dieser Dekade Erfahrung aus. Die jetzt folgende Konzerttour wird mit diesem vereinnahmenden «neuen Kunz-Sound» ein Erfolg, das sagt nicht nur die Glaskugel. Dann heisst es zeitweilig Abschied nehmen. «D Wäut, die wartet duss uf mech!», singt Kunz.

Andréas Härry

«Proviant» erscheint am kommenden Freitag, 3. November, und kann ab sofort bestellt werden. Ab 9. November geht Kunz auf Tournee.

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