«Ich bin es gewohnt, schmal durchzumüssen»

Mit gut 900 Franken AHV und ohne Pensionskasse: Annette Huber* musste ihr ganzes Leben lang mit wenig Geld leben. Mithilfe des Treuhanddienstes hat sie ihre Finanzen im Griff und kann sogar ab und zu mal auswärts essen gehen.

Annette Huber wird bei der Buchhaltung von einem Treuhandberater der Pro Senectute unterstützt (Symbolbild). Bild: PD

Die Zweizimmerwohnung am Stadtrand von Luzern ist klein, die Möbel sind einfach, aber die Einrichtung ist gemütlich, auch ihre Katze und ihr Hund scheinen sich wohlzufühlen. Und die Bewohnerin, die mit ihren 74 Jahren aussieht, als wäre sie erst gerade 60 geworden, strahlt zufrieden. Dass sie fast ihr ganzes Leben lang jeden Rappen umkehren musste und mit sehr wenig Geld lebte, sieht man ihr nicht an. Das entbehrungsreiche Leben scheint mehr oder weniger spurlos an ihr vorübergegangen zu sein. Sie lacht und meint nur: «Ich habe wohl ein Urvertrauen, um das mich viele beneiden. Trotz allem, was mir das Leben an Schwierigkeiten beschert hat, ging es mir psychisch immer gut.»

Neben ihr sitzt Jürg Hottiger, ihr Treuhandberater von Pro Senectute. Einmal im Monat sitzen die beiden zusammen und gehen alle Rechnungen und sonstige Ausgaben durch. Er ist auch pensioniert und leistet ehrenamtlich diesen Einsatz. «Ich bin eigentlich ihr Buchhalter», sagt er. Er hat für alle Geschäftsbeziehungen Vollmachten und zahlt für sie sämtliche Rechnungen. Sie hebt vom Konto das Haushaltsgeld ab, welches sie für den Monat benötigt. Mit 937 Franken AHV und rund 2000 Franken Ergänzungsleistungen beträgt ihr monatliches Budget knapp 3000 Franken.

Gegenseitiges Vertrauen

Mit einer Miete von knapp 1300 Franken bleibt damit nicht mehr viel für alles andere übrig. Aber Annette Huber reicht das, und sie kann damit umgehen. «Sie hat ihr Budget gut im Griff», bestätigt Jürg Hottiger. «Es ist beeindruckend, zu sehen, wie sie mit ihren bescheidenen Mitteln klarkommt.» Für ihn ist es zentral, dass sie sich gegenseitig vertrauen. So kann die Rentnerin auch frei über ihr Konto verfügen. Es gibt andere Mandate, bei denen der Treuhandberater stärker kontrollieren muss, dass die Finanzen im Lot bleiben. Für Annette Huber ist es wichtig, dass sie nicht zu stark bevormundet wird. «Ich bin froh um die Unterstützung, aber auch darum, dass ich meine Freiheit über meine Mittel behalte.»

Wie lebt man mit so wenig Geld? Die 74-Jährige schmunzelt. Sie besitzt jede Menge Erfahrung darin, mit knappem Budget über die Runden zu kommen. «So viel wie heute hatte ich früher fast nie zur Verfügung.» Klar, es sei immer noch ­bescheiden, aber sie komme gut zurecht damit. «Ich lebe sehr einfach, das bin ich mich von früher her gewohnt.» Ab und zu kann sie es sich leisten, sich mit einer Freundin im Coop-Restaurant zum Mittagessen zu verabreden, was sie sehr schätzt. «Ansonsten schaue ich darauf, dass ich günstig einkaufe, obwohl ich auch auf gesunde Ernährung schaue.» Auf Extras wie teure Kleider, neue Möbel oder Konzertbesuche verzichtet sie.

Zunehmend überfordert

Den Dienst der Pro Senectute hat sie nicht in Anspruch genommen, weil das Geld nicht reicht, sondern vor allem, weil sie sich mehr und mehr überfordert fühlte von der zunehmend komplexen administrativen Arbeit. «Ich habe meine Finanzen immer selber erledigt. Bis ich letztes Jahr merkte, dass ich langsam den Überblick verliere und teilweise nicht mehr wusste, ob ich eine Rechnung bereits bezahlt hatte oder nicht.» Dann seien die Einzahlungsscheine mit QR-Code gekommen, mit denen sie nie so richtig zurechtkam. Die fortschreitende Digitalisierung bereitet ihr Mühe. «Ich habe zwar ein Handy, aber nur schon wenn ich etwas googeln will, funktioniert es irgendwie nicht.» In den letzten Jahren habe sich so viel verändert, das sei ihr irgendwann zu mühsam geworden, seufzt sie. «Deshalb bin ich froh um die Hilfe von Jürg Hottiger.»

Dabei ist Annette Huber eine, der selten etwas zu mühsam wurde im Leben. Obwohl sie einigen Grund gehabt hätte, sich so zu fühlen. Sie musste sich ohne jegliche Ausbildung durchs Leben schlagen. Als junge Frau begann sie zwar in Italien mit der Ausbildung zur Lehrerin, brach diese dann aber ab. «Mein Papa war zu ehrlich, und da man damals fast nur mit Schmiergeldern zu einer Anstellung kam, liess ich es bleiben.» Dann versuchte sie es mit einer Schneiderinnenlehre in Florenz. Als sie länger krank war, wurde sie entlassen. Da ihre Mutter Schweizerin war, schickte man sie schliesslich zu ihrer Grossmutter in die Schweiz, wo sie in einer Fabrik in St. Margarethen Arbeit fand und ihren späteren Mann kennen lernte.

Einmal Ferien auf Rimini

Sie wurde Mutter, und die junge Familie lebte elf Jahre in Deutschland, wo sie bis zur Geburt des dritten Kindes in einem Krankenhaus arbeitete. Dann zogen sie nach Italien, bis es dann zur Trennung kam. Annette Huber kehrte allein mit ihren vier Kindern in die Schweiz zurück. Schliesslich starb eines ihrer Kinder im Alter von 23 Jahren. «Das war mein letzter grosser Schicksalsschlag in meinem Leben», versichert sie. Viele Jahre arbeitete die alleinerziehende Mutter Teilzeit im Personalrestaurant der St.-Anna-Klinik. Natürlich reichte das nicht, um die Familie zu ernähren, weshalb sie auf Sozialhilfe angewiesen war. Auch damals schon fiel sie mit ihrer bescheidenen, freundlichen Art auf. «Auf dem Sozialamt fragten sie mich ab und zu, ob ich nicht noch etwas obendrauf für meine Kinder bräuchte. Aber ich fand eigentlich immer, dass ich ja schon genug erhalte.»

Einmal ermöglichte ihr das Sozialamt einen Ferienaufenthalt im Tessin mit ihren Kindern, einige Male verbrachte sie die Sommerferien auf Rimini. «Ich bin es mir schon mein ganzes Leben gewöhnt, schmal durchzumüssen», sagt sie. Sie hat gelernt, mit Bescheidenheit das Leben zu meistern, davon profitiert sie heute. «Ich bin nicht fixiert darauf, immer mehr und noch mehr zu besitzen. Ich brauche das nicht, es sind andere Dinge, die mich zufrieden machen im Leben.» Freunde, ihre Tiere, der Kontakt zu ihren Kindern und ihrer Familie. Geld zum Schminken beispielsweise benötigt sie nicht. «Die Leute sagen mir immer, ich sei auch so hübsch genug.» Wieder erstrahlt sie und schaut zu ihrem Treuhandberater hinüber. «Ich bin so glücklich, dass ich jemanden habe, der mich so toll unterstützt.» Überhaupt sei sie gesegnet, dass sie in ihrem Leben fast immer auf gute Menschen getroffen sei. «Vielleicht ja auch, weil ich selber eine ehrliche Haut bin.»

Robert Bossart

*Name von der Redaktion geändert

 

In Zusammenarbeit mit Pro Senectute

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