«Heute werden die Lernenden individuell gefördert»

34 Jahre stand Charles Vincent der Luzerner Volksschule vor und machte sie zu einer schweizweiten Vorzeigeinstitution. Ende Monat geht er in Pension.

Charles Vincent tritt ab. Bild: Apimedia

Charles Vincent, warum lancierte der Kanton Luzern vor 15 Jahren das Projekt «Schulen mit Zukunft»?
Nach Abschluss des Projekts «Schulen mit Profil», bei dem es in erster Linie um die Entwicklung der Schulorganisation und die Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden ging, haben wir bei «Schulen mit Zukunft» das Augenmerk auf den Unterricht gelegt. Und wenn ich «wir» sage, dann meine ich nicht nur die Dienststelle Volksschulbildung, sondern auch die vier Partnerorganisationen, die uns bei diesem Prozess kompetent und konstruktiv begleitet haben: die Gemeinden, die Bildungskommissionen, die Schulleitungen und die Lehrpersonen.

Im Oktober wurde das Projekt offiziell abgeschlossen. Wurden die gesteckten Ziele auch erreicht?
Ja. Die Einführung des Lehrplans 21 verläuft bisher ohne Komplikationen. Die Basisstufe kann von den einzelnen Schulen bei Bedarf selbstständig realisiert werden. Zudem verfügen alle Schulen über die integrative Förderung und praktisch alle über die Schulsozialarbeit. Weiterer Entwicklungsbedarf besteht hingegen bei den Tagesstrukturen, da immer mehr Familien auf ein bedarfsgerechtes Angebot angewiesen sind.

Die integrative Förderung ist in der Bevölkerung teilweise umstritten. Sind Sie immer noch überzeugt, dass es der richtige Weg ist?
Die Idee des schulfreien Samstags stiess in den 90er-Jahren ebenfalls auf grossen Widerstand, heute stellt das niemand mehr in Frage. Neuerungen brauchen immer etwas Zeit, um die nötige Akzeptanz zu erhalten. Für mich ist die integrative Förderung der einzig mögliche Ansatz, um der wachsenden Vielfalt der Lernenden im Unterricht gerecht zu werden. Homogene Klassen, in denen alle Schüler auf dem gleichen Niveau sind und gleich schnell vorwärtskommen, sind in der heutigen Zeit nicht mehr realistisch. Heute muss jeder Lernende individuell gefördert werden, und es müssen Gemeinschaftserlebnisse beim Lernen ermöglicht werden.

Bleiben die guten Schüler dabei nicht auf der Strecke?
Nein. Die Ergebnisse von Evaluationen zeigen, dass auch hochbegabte Lernende vom integrativen Unterricht profitieren. Ausserdem haben wir verschiedene Zusatzangebote für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler initiiert. Zum Beispiel die Ateliers für Hochbegabte oder die BM SEK+, die in der 3. Sekundarschule Teile des späteren Berufsmatura-Unterrichts vorzieht.

In den vergangenen Jahren musste die Volksschule immer mehr erzieherische Aufgaben übernehmen. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? 
Gewisse erzieherische Aufgaben hat die Volksschule schon immer wahrgenommen: ruhig sitzen lernen, ans Arbeiten gewöhnen, im Team funktionieren. Die Selbst- und Sozialkompetenzen haben heute einfach einen höheren Stellenwert. 

Ende Monat gehen Sie nach 34 Jahren als Dienststellenleiter in Pension. Wie werden sich die Luzerner Volksschulen nach der Ära Vincent entwickeln?
Um zeitgemäss und innovativ zu bleiben, muss sich die Volksschule immer wieder den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen anpassen. Die Arbeitswelt der Zukunft erfordert zum Beispiel verstärkte digitale Kompetenzen und mehr Eigenverantwortung. Dem muss die Volksschule mit geeigneten Angeboten gerecht werden.

Alex Piazza, Apimedia

Weitere Artikel zu «Region», die sie interessieren könnten

Region26.02.2024

Adieu, «Anzeiger Luzern»

Vom englischen Königshaus, von einem Podium unter Polizeischutz, Weltstars wie Anne-Sophie Mutter oder Joss Stone bis zum «falschen» Barenboim: Nach vielen…
Stadt Luzern: besseres Rechnungsergebnis
Region26.02.2024

Stadt Luzern: besseres Rechnungsergebnis

Für das Jahr 2023 verzeichnet die Stadt Luzern einen Gewinn von 80 Mio. Franken, obwohl ein Verlust von 31,2 Mio. Franken budgetiert war.
Tourismus Luzern: fast komplette Erholung
Region26.02.2024

Tourismus Luzern: fast komplette Erholung

In der Stadt Luzern haben im Jahr 2023 20,8 Prozent mehr Gäste übernachtet als im Vorjahr und 3,9 Prozent weniger als 2019.