«Es funktioniert perfekt»
Seit 1981 proben Bands und spielen Formationen im Club des markanten Baus am Rande der Stadt. Silvan Weibel avancierte vom Sedel-Musiker zum Präsidenten des Trägervereins.
Silvan Weibel hat die perfekte Sedel-Karriere im Lebenslauf. Nach dem Studium im Lehrerseminar Hitzkirch gründete er zusammen mit Kollegen eine Band mit dem humorvoll-metaphorischen Namen Preamp Disaster. «Ich war damals kein ‹Sedel-Typ›.» Der «Wärchhof», die «Schüür» und die «Boa» waren die Ausgehlokale des in Schüpfheim aufgewachsenen Jungmusikers. Auf der Suche nach einem Probelokal trug sich die Band auf der Warteliste des Sedels ein. Zwei Jahre später, 2007, bekamen sie eine der begehrten Zellen. «Da war eine lange Wartezeit, Einzelinstrumentalisten kriegen meist schneller eine Möglichkeit, insbesondere wenn sie bereit sind, ihr Lokal mit anderen Musikern zu teilen», erklärt Silvan Weibel.
Preamp Disaster kamen als unbeschriebene Blätter in den Sedel. «Wir kannten niemanden, aber offensichtlich haben wir bald eine gute Duftnote hinterlassen» – beim Vorstand der Interessengemeinschaft Luzerner Musikerinnen und Musiker (ILM), dem Trägerverein des Sedels.
«Es ist eine kreative Spielwiese»
2011, zum 30-Jahr-Jubiläum des Sedels, traten Preamp Disaster mit einem 15-Minuten-Ausschnitt aus ihrem ersten Album auf dem Jesuitenplatz auf. «Das hat mächtig ‹tätscht›», erinnert sich Weibel. Auch bei der Jubiläumsausstellung in der Kornschütte waren die Jungs dabei. «Der Vorstand schätzte unsere Art der Zusammenarbeit.» Silvan Weibel wurde angefragt, im Gremium mitzumachen. 2016 stieg er zum Präsidenten auf. Die ehrenamtliche Tätigkeit ist zeitintensiv. «Ich arbeite beinahe jeden Tag für den Sedel», sagt Weibel, der unter anderem auch für das Zoomz – Festival für Kinder- und Jugendfilm engagiert ist. Es gibt zwar eine Betriebsgruppe mit 180 Stellenprozenten, doch investiert der Vorstand zusätzlich viel Zeit und Engagement, «dies dürfte das Erfolgsgeheimnis des Sedels sein», mutmasst der Präsident. Seine Aufgabe begeistert ihn. «Es ist eine kreative Spielwiese.»
Nebst dem Aufgleisen von Projekten und Konzerten im und rund ums Haus ist auch der normale Arbeitsalltag für den Entlebucher motivierend. «Alles, was ich zum Thema Kulturmanagement weiss, habe ich im Sedel gelernt.» Ebenso schätzt er die guten Kontakte mit den anderen Kulturhäusern von Luzern, der Stadt, den Behörden.
Lösung ohne Krawall
Dass der Sedel einmal so gut ins hiesige Kultur-Establishment integriert sein würde, war in Anfangszeiten nicht vorgezeichnet. Bis 1971 wurde der Sedel als Strafanstalt genutzt, darum werden auch heute noch die 55 Proberäume pragmatisch als Zellen tituliert. Der Auslöser für die Umnutzung waren die Jugendunruhen der Achtzigerjahre, die auch nach Luzern ausstrahlten. Kernforderung der Bewegung: Freiräume. Doch während in Schweizer Grossstädten die Auseinandersetzung mit Pflastersteinen und Tränengas ausgefochten wurde, wählte Luzern einen kreativen Weg. Nach intensiven und auch durch Rückschläge geprägten Verhandlungen zwischen Stadt, Kanton und den Jugendlichen wurde der Sedel der ILM zur Verfügung gestellt. Der bereits angekündigte, erste Luzerner Krawalltag mutierte zum Dankeschön-Konzert. Der Sedel wurde eröffnet, ohne dass ein Schaufenster zerbrach an der Reuss.
Dieser makellose Start wirkt bis heute. Der Sedel besitzt nicht angezweifelte Akzeptanz über die Parteigrenzen hinweg. Respekt und Dankbarkeit äussert Silvan Weibel gegenüber der Gründergeneration. «Diese hätten etwas geschaffen, das auch im europäischen Umfeld einzigartig ist.» In der Tat findet man nirgends auf dem Kontinent ein Haus mit so vielen Proberäumen und dem dadurch möglichen Austausch zwischen Musikerinnen und Musikern. «Vom 20-jährigen Metaller bis zum 70-jährigen Jazzer haben wir alles hier.» Man werde täglich inspiriert durch andere Sounds, die durch die Gänge flattern würden. Was würde der Vereinspräsident ändern wollen am Konzept? «Gar nichts, es funktioniert perfekt.»
Der Sedel als Marke
Was Weibel will, ist die Bekanntheit des Sedels national stärken. So sind im Rahmen des Jubiläums im Frühjahr 2022 an drei Weekends Bands aus dem Haus, die ausgelost wurden, auf Schweizer Tournee, «um den Sedel als Brand zu positionieren». Auf der Website und im Gespräch mit Musikern des Hauses fällt immer wieder das Wort Freiraum. Woran bindet man dies an? «Wenn man zu uns kommt, entflieht man dem Alltag», meint Weibel. Auch bedingt durch die periphere Lage mit Weitblick. «Man kann sich in seine Höhle zurückziehen oder mitmachen im Verein, wie man will.» Zukunftsängste plagen die Sedel-Verantwortlichen nicht. «Es wird immer Jugendliche geben, die sich musikalisch äussern wollen», trotz gestiegenem Alternativangebot für die Freizeit. Wie sieht Silvan Weibel den Freiraum Sedel in zehn Jahren? «Genau so, wie er heute ist.»
Andréas Härry