Eine spannende Zeitreise
Dieses Buch könnte sich als Must-have für heimatverbundene sowie Heimweh-Luzernerinnen und -Luzerner etablieren. 76 Giebelbilder der Kapellbrücke werden präsentiert und erklärt.
Die Kapellbrücke, das Herz und die Seele aus Holz der Leuchtenstadt lag am 18. August 1993 in Asche. Die wahre Katastrophe war aber nicht der Verlust der Tragkonstruktion der Brücke. Dieses Holz wurde in der siebenhundertjährigen Geschichte des Wahrzeichens bereits mehrere Male ersetzt. Da war die anschliessende Rekonstruktion eigentlich nur eine frühzeitige Totalsanierung. Schlimm war und ist hingegen der Verlust eines Grossteils der Original-Giebelbilder, 86 an der Zahl.
Die anschliessende Geschichte ist bekannt. Der Luzerner Rechtsanwalt Jost Schumacher finanzierte eine Reproduktion nicht nur der verbrannten, sondern aller 146 Bilder. Der Mäzen wollte die Stadt Luzern und damit die Bevölkerung beschenken, die Bilder wieder an ihrem Originalschauplatz ausstellen. Das Präsent wurde von der Stadt dankend abgelehnt, resultierend aus Gutachten der kantonalen und eidgenössischen Denkmalschutzkommissionen. Diese monierten unter anderem die schwankende Qualität der Replikas. Der Streit ging weiter. 2014 wurde eine Volksinitiative der Jungfreisinnigen, die dem Stadtrat die Entscheidungskompetenz über die Bilder entzogen hätte, reussabwärts geschickt.
Um der Bevölkerung dennoch einen Zugang zu den Bilderzyklen zu ermöglichen, realisierten die Emmer Lehrer Heinz Schürmann und Klemens Vogel 2016 ein digitales E-Book, das bis 2018 mit allen Bilderzyklen ergänzt wurde. Ihr nächstes, jetzt erschienenes Projekt hat aber eine noch viel höhere Qualität. Im Buch «Kapellbrücke-Giebelbilder» werden 76 Kunstwerke des ersten Gemäldezyklus, der Luzerner und Schweizer Geschichte gewidmet, abgebildet. Spannend ist dabei vor allem auch die linke Erklärungsseite. Da werden die Gemälde in kurzen Worten in einen thematischen Zusammenhang gebracht sowie auf den Bildern vorhandene Texte wiedergegeben.
Politisch-religiöse Botschaften
Das Durchforsten dieses Bildbandes ist eine Reise in eine der spannendsten Epochen der Schweizer Geschichte. Die Giebelbilder waren nicht nur als Dekoration angedacht, sondern propagierten auch politisch-religiöse Botschaften im Zeitalter der Gegenreformation. Beim Durchlaufen der Brücke sollten die Betrachtenden daran erinnert werden, dass nur ein frommer, katholischer Lebenswandel der korrekte Weg ist. Ein klarer Wink an die Zeitgenossen, die auch Luzern gerne ins evangelisch-reformierte Lager gezogen hätten. Ereignisse wie die «Luzerner Mordnacht» oder Brand der Grossstadt sind abgebildet. Dazu kommen Episoden aus der Schweizer Geschichte und Mythologie inklusive Apfelschuss sowie Berichterstattungen über nicht zimperliche Ereignisse und Schlachten der Eidgenossen. Realisiert haben die Bilder der Maler Hans Heinrich Wägmann (1557–1627) und seine vier Söhne im Auftrag der Luzerner Stadtschreibers und Apothekers Renward Cysat (1545–1614). Finanziert wurden die Werke durch die Luzerner Ratsmitglieder, die jeweils eine Tafel stifteten. Als Anerkennung der Gabe wurde das Männer- und das Frauenwappen der jeweiligen Familie unten am Bild angebracht. Gemalt wurden die Werke auf Fichtenholzbrettern, einige wenige wurden auf einer Linden- oder Ahornholzbasis umgesetzt.
Der Bildband von Heinz Schürmann und Klemens Vogel wurde mit viel Hintergrundwissen und Liebe zum Detail realisiert. Beste Werbung für das Medium Buch. Der erklärende Ansatz macht das Werk auch für jüngere Generationen interessant. Diejenigen, die ungläubig zuhören, wenn die Eltern über das grosse Tränenvergiessen vom 18. August 1993 berichten.
Andréas Härry
Box: Das Buch
Heinz Schürmann und Klemens Vogel, Kapellbrücke-Giebelbilder des 1. Zyklus zur Luzerner und Schweizer Geschichte, mit den Fotos der 76 Replikate der Originalbilder. Erhältlich unter anderem im Buchhaus Stocker, im Wasserturm-Shop auf der Kapellbrücke, in der Hirschmatt-Buchhandlung, im Historischen Museum oder online, www.kapellbruecke-giebelbilder.ch, 38 Franken.