Ein Wahlkampf, der keiner ist

Gewinnt die SP am 28. Juni einen zweiten Sitz im Stadtrat, bleibt alles beim Alten oder kommt es gar zu einer Überraschung? ­Obwohl die Topfavoritinnen im ersten Wahlgang relativ nahe beieinander lagen, kam bisher noch kein richtiger Wahlkampf auf.

Die drei Topfavoritinnen auf einen Stadtratssitz: Judith Dörflinger (SP), Manuela Jost (GLP) und Franziska Bitzi (CVP). Bilder: PD

Gerademal 190 Stimmen lag Judith Dörflinger beim ersten Wahlgang Ende März hinter der aktuellen Stadträtin Manuela Jost, auf Franziska ­Bitzi (CVP) verlor die Kandidatin der SP 727 Stimmen. Ein richtiger Wahlkampf ist aber in den letzten Monaten trotzdem nicht entfacht. Während Mirjam Fries, Fraktionspräsidentin der CVP, vermutet, dass dies Corona geschuldet sei, in den nächsten Wochen aber noch passieren wird, sagt Simon Roth, Parteipräsident der Stadt Luzern: «Die aktuellen Stadträtinnen und ihre Parteien haben wenig Interesse an einer inhaltlichen Auseinandersetzung und hoffen, dank des Bisherigen-Bonus die Wahl zu schaffen.»

Die Fäuste bleiben unten

Tatsache ist: Zwei Wochen vor den Wahlen vermeiden es die drei Topfavoritinnen auf einen Stadtratssitz, sich gegenseitig auf die Füsse zu treten. Es fliegen keine Fäuste, zwischen den Ratskolleginnen Jost und Bitzi schon gar nicht. «Mit meinem sozialdemokratischen Hintergrund unterscheide ich mich stark von den beiden bisherigen Stadträtinnen und stehe für eine Bevölkerungsgruppe, die im aktuellen Stadtrat nicht vertreten ist», sagt Herausforderin Judith Dörflinger. «In der aktuellen Situation sind wir gefordert, pragmatisch und mutig zu handeln und teilweise unkonventionelle Lösungen zu erarbeiten. Bei meiner Wahl könnte ich einen Beitrag leisten, die aktuell notwendige Offenheit im Denken und Handeln ins Gremium zu tragen, um solche Lösungen zu ermöglichen.»

Finanzdirektorin Franziska Bitzi wirbt mit der Erfahrung und Diversität: «Für mich ist bei der Zusammensetzung von Gremien nebst der Kompetenz die sogenannte ‹Diversity› wichtig; das gilt für Verwaltungsräte genauso wie für Stadträte. Vielfalt ermöglicht breite Diskussionen und tragfähige Entscheidungen zugunsten unserer Gesellschaft», sagt sie. Früher waren viele Juristen und Rechtsanwälte in den Regierungsgremien, im aktuellen Luzerner Stadtrat bin ich noch die einzige.»

Und Baudirektorin Manuela Jost setzt auf die Kontinuität: «Was sicher für meine Kandidatur spricht, ist die über acht Jahre gesammelte Erfahrung als Stadträtin und Baudirektorin, die ich als Mehrwert in eine weitere Amtsperiode einbringen kann. Zahlreiche Projekte im Bauwesen sind unterwegs, die von meiner Weiterbetreuung profitieren können», sagt sie. «Nach meiner festen Überzeugung ist ein Fortbestehen der bisherigen, politisch ausbalancierten Stadtregierung am erfolgversprechendsten, um die grossen künftigen Herausforderungen anzugehen.»

Für Simon Roth der SP hat die Bevölkerung bei den Parlamentswahlen Ende März ein deutliches Zeichen für eine mutige und fortschrittliche Politik gesetzt. «Dies muss sich nun aber auch in der Exekutive widerspiegeln und genau dafür steht Judith Dörflinger. Eine Wahl von Judith Dörflinger ist wichtig für die soziale und ökologische Entwicklung der Stadt Luzern», ist er überzeugt. Die SP und die Grünen besitzen im Parlament neu die Hälfte aller Sitze.

Angst vor einem Linksrutsch

Die FDP, die ihren Vertreter Martin Merki neben Stadtpräsident Beat Züsli (SP) und Adrian Borgula (Grüne) bereits sicher im Stadtrat weiss, hat für den zweiten Wahlgang Manuela Jost und Franziska Bitzi die Unterstützung zugesichert. «Die Corona-Krise bringt viele kleine und grosse Unternehmen unverschuldet in existenzielle Schwierigkeiten. Das Lebenselixier der Städte sind wertschöpfungsorientierte Unternehmen, welche Arbeitsplätze schaffen», sagt Fabian Reinhard, FDP-Parteipräsident der Stadt Luzern. «Der SP fehlt das Bewusstsein für die wirtschaftlichen Realitäten. So sägt Links-Grün an dem Ast, worauf die Stadt Luzern sitzt; die Tourismusdiskussion mit der völlig einseitigen Betonung der negativen Aspekte ist nur ein Beispiel dafür. Jeder Steuerfranken muss zuerst verdient werden», kritisiert er die SP.

Einen Linksrutsch fürchtet natürlich auch die SVP. «Mit einem zweiten Stadtratssitz seitens SP wäre das Gleichgewicht in der städtischen Politik massiv gestört. Dies gilt es aus bürgerlicher Sicht zu verhindern, zumal Frau Dörflinger am äussersten linken Rand politisiert», sagt Dieter Haller, Präsident der SVP Stadt Luzern. Ein fahler Nachgeschmack hat für die SVP auch, dass Silvio Bonzanigo, der inzwischen nicht mehr von der SVP unterstützt wird, für den zweiten Wahlgang antritt. «Welche Auswirkungen dies für Manuela Jost und Franziska Bitzi haben wird, ist schwer vorauszusagen. Vorteilhafter für eine erfolgreiche Wahl der Stadträtinnen Bitzi und Jost wäre jedoch sicherlich ein Verzicht seinerseits gewesen», sagt Haller.

Jules Gut, Fraktionspräsident der GLP, sieht zwar, dass seine Partei und die SP bei ökologischen Zielen öfters gleicher Meinung sind. «Doch der Weg dahin unterscheidet sich bisweilen. Und sobald es um Fragen der Umverteilung geht, sind wir klar auf der liberalen Seite», betont er. Der GLP-Politiker fürchtet bei einem zweiten SP-Sitz um den Detailhandel und die Ausgabendisziplin. «Das Verständnis und die Unterstützung für den Detailhandel und die Anliegen und Bedürfnisse auch der kleinen Läden vermissen wir schon heute. Dabei wäre dies wichtiger denn je. Auch die Weiterführung der aktuell sehr hohen Ausgabendisziplin der Verwaltung wäre wohl schwieriger.»

Die Grünen unterstützen neben Jona Studhalter (Junge Grüne) auch Judith Dörf­linger. Fraktionschef Christian Hochstrasser sagt: «Gerade in der Baudirektion von Manuela Jost hat der Klimaschutz leider immer noch nicht das nötige Gewicht bekommen.» Bei wichtigen Entscheidungen beispielsweise zu Tagesschulen, der Energiepolitik oder der Unterstützung für finanziell und sozial Schwächere haben heute jahresbezogene finanzpolitische Kennzahlen aus der Direktion von Franziska Bitzi ein viel zu hohes Gewicht.»

«Manuela Jost steht uns viel näher»

Die CVP unterstützt neben Franziska Bitzi die GLP-Politikerin Manuela Jost, die, wie Mirjam Fries, CVP-Fraktionspräsidentin im Grossen Stadtrat, sagt, der CVP viel näher stehe als Judith Dörflinger, die sehr weit links politisiere. «Manuela Jost politisiert auch in der Mitte, ist als Grünliberale aber wohl weniger fassbar für die Wählerinnen und Wähler», sagt Fries. Dies habe einerseits parteipolitische Gründe, anderseits auch mit der Tatsache zu tun, dass Manuela Jost bei den letzten Wahlen von der SP unterstützt wurde und jetzt von den Bürgerlichen.

Neben den drei Topfavoritinnen treten auch vier Männer zum zweiten Wahlgang an: Skandar Khan (Juso). Jona Studhalter (Junge Grüne), Silvio Bonzanigo (Chance Littau-Reussbühl) und Rudolf Schweizer (Parteilose Schweizer). Die vier hatten im ersten Wahlgang 1462 Stimmen und mehr Rückstand auf einen Stadtratssitz.

Marcel Habegger

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