Ein spezielles Vorbild gewählt

Als Gast der Verkehrskonferenz hat der TCS den Bieler Stadtpräsidenten Erich Fehr eingeladen. Der Titel des Referats «Gemeinsame Ziele, gemeinsame Lösungen» sorgt in Biel derweil für Stirnrunzeln.

Im Jahr 2018 demonstrierten rund 5000 Bieler:innen gegen den Westast. Letztes Jahr erklärte der Stadtpräsident das Projekt für «faktisch tot». Bild: Anthony Anex / Keystone

Die TCS-Sektion Waldstätte lädt am 22. November zur 10. Verkehrskonferenz ins Messezentrum Luzern ein. Unter dem Titel «Luzern will alles – nur keine Autos» werden Gaudenz Zemp, Direktor KMU- und Gewerbeverband Luzern, Stadtpräsident Beat Züsli und Hans Peter Bienz, Gemeinderat Ebikon, über die Verkehrssituation in Luzern diskutieren. An der Diskussion wird sich auch der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr (SP) beteiligen. Die TCS-Sektion Waldstätte regt an, sich Biel verkehrsplanerisch zum Vorbild zu nehmen: «In Biel ziehen Behörden von Stadt und Agglomeration am selben Strick. Gemeinsam werden tragfähige und zielführende Projekte umgesetzt», schreibt der TCS in seiner Einladung. Der Bieler Stadtpräsident Erich Fehr hält dazu am nächsten Montag einen Vortrag über die Bieler Mobilitätsstrategie, auch Gaudenz Zemp ist als Referent aufgeführt.

 

Kaum besser als Luzern

Derweil fragt man sich im Seeland, was man sich von Biel verkehrsplanerisch abschauen könnte. Die Wahl, die Stadt Biel als verkehrstechnisches Vorbild zu nehmen, löst bei mehreren darauf angesprochenen Bielerinnen und Bielern Stirnrunzeln aus. TCS-Geschäftsführer Alexander Stadelmann erklärt die Wahl: «Biel ist bezüglich Mobilität ein Musterbeispiel und Leuchtturm. Gemeinsam mit den umliegenden Gemeinden geht man die Mobilität lösungsorientiert an und zieht am miteinander am selben Strick. Es werden ausnahmslos alle Verkehrsmittel in Planungen miteinbezogen, auch der motorisierte Individualverkehr. Ein Ausgrenzen und ein Ausbremsen der Autos besteht in Biel nicht, dort hat auch das Auto eine Berechtigung und spielt eine Rolle.»

So harmonisch, wie von Stadelmann beschrieben, geht es in Biel aber nicht zu und her. Ohne Securitas gibt es zu den Hauptverkehrszeiten vor dem Bahnhof beispielsweise kein Durchkommen mehr. «Der Bahnhofplatz ist eine Baustelle», sagt etwa auch Matthias Rutishauser, Geschäftsführer von Pro Velo Biel-Bienne. Mit Baustelle meint er einen Ort, an dem man verkehrsplanerisch nicht weiterkommt. 

Die Behörden hatten zuletzt geplant, die Durchfahrt beim Bahnhof zu verbieten und nur noch Zubringer zuzulassen. Wegen Beschwerden aus bürgerlichen Kreisen sowie von TCS-Anhängern ist das Vorhaben derzeit beim Verwaltungsgericht pendent. «Genau das ist das Problem», sagt Matthias Rutishauser. «Im Planen und Versprechen ist die Stadt Biel wirklich sehr gut, bei der Umsetzung harzt es aber», sagt er. «Die Regierung will es in Biel allen recht machen, die Strasse hat aber nur eine Kapazität von 100 Prozent, nicht 150», erklärt Matthias Rutishauser. In Sachen Verkehr rund um den Bahnhof scheint Luzern also kaum etwas abschauen zu können. «In Biel schiebt man das Problem vor sich hin, bezüglich Ressourcen und Mut ist man in der Stadt Biel begrenzt», ergänzt der Geschäftsführer. 

 

Planung seit 70 Jahren

Auch in Sachen Schnellverkehr ist Biel kein Vorzeigebeispiel. Der Ostast wurde zwar gebaut und sorgt für gewisse Entlastung, doch klafft zwischen Brügg und Neuenburg immer noch eine Autobahnlücke. Die Diskussionen bezüglich der Umfahrung der Stadt Biel reichen bis in die 1950er-Jahre zurück.

Erst 2020 wurde der Westast, ein 7 Kilometer langes Autobahnprojekt mit fünf Autobahnanschlüssen, für 2,2 Milliarden Franken beerdigt. Der Kanton Bern hatte die Befürworter:innen und die Gegner:innen an denselben Tisch gebracht, um über den Westast zu diskutieren. 60 Massnahmen wurden am runden Tisch erarbeitet mit dem Resultat, dass Stadtpräsident Erich Fehr im August 2020 das Bauprojekt für «faktisch tot» erklärte. Der SP-Politiker war lange Befürworter gewesen. Gegner:innen werfen ihm vor, wegen der Wahlen umgeschwenkt zu sein.

 

Zurück auf die Tribüne

Direktbeteiligte sprechen von harten, aber guten Diskussionen während der Erarbeitung der Massnahmen. Das Problem: Nach der Beerdigung des Westast-Projekts ging es für die verschiedenen Interessengruppen wieder zurück auf die Tribüne. Von gemeinsamer Zielverfolgung kann also keine Rede sein. Die Stadt Biel arbeitet nun mit den Agglomerationsgemeinden wieder hinter verschlossenen Türen an einer Lösung. «Der Fokus liegt wieder mehrheitlich beim Strassenbau, die anderen Massnahmen erhalten kaum Beachtung», kritisiert Catherine Duttweiler, Sprecherin der Bewegung «Westast – so nicht!». Erneute Gegenwehr scheint vorprogrammiert. Eine Gesamtbetrachtung, wie man sie aktuell in Luzern anstrebt, gibt es in Biel ebenfalls nicht. Weshalb die TCS-Sektion Waldstätte ausgerechnet die Verkehrsplanung in Biel zum Beispiel nimmt, bleibt deshalb fraglich.

Marcel Habegger

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