Die Suche nach dem Filetstück
Wohneigentum wird immer teurer. 2020 wurde dieser Trend noch deutlicher. Anderseits kommen viele Mietwohnungen auf den Markt, die Mietzinse sind unter Druck. Eine Einschätzung mit Michel Amberg, Immobilien-Experte der Luzerner Kantonalbank.
Michel Amberg, allein im dritten Quartal 2020 stiegen die Kaufpreise für Einfamilienhäuser um 7,6 Prozent gegenüber Vorjahr, bei Eigentumswohnungen 4,3 Prozent. Ist dies für Sie eine überraschende Entwicklung?
Michel Amberg: Da die Preisentwicklung seit Jahren nur in eine Richtung zeigt, haben diese Zahlen niemanden überrascht. Der Preisschub betrifft vor allem Wohnungen und Häuser im mittleren Preissegment. Es wird zu wenig produziert für die Nachfrage. Dazu kam Corona. Man hatte Zeit, sich mit der Thematik Kauf auseinanderzusetzen.
Betrifft der Preissprung alle Wohnlagen?
Es muss nicht immer eine Zentrumslage sein, eine Wohnung oder ein Haus können auch ausserhalb liegen. Diese Gedanken machen sich immer mehr Menschen. Wenn man dezentral wohnt, kann man echtes Grün erleben und muss (aktuell) nicht sofort die Maske anziehen an der Haustür. Die Preissteigerung erfasst somit immer mehr auch dezentrale Lagen.
Was wir erleben, ist somit keine Immobilienblase, sondern einen Trend?
Ein Trend wäre etwas Unbestätigtes, das ist nicht der Fall aktuell. Es ist nur die Nachfrage, die die Preise nach oben treibt.
Sie sagen, es wird zu wenig produziert. Mietwohnungen hingegen werden aktuell en masse auf den Markt gebracht. Warum?
Vor 20 Jahren war die Finanzwelt eine andere, Immobilien hatten nicht denselben Stellenwert. Heute gibt es viel mehr Marktteilnehmer, institutionelle Anleger (wie Pensionskassen, Kreditinstitute, Investmentgesellschaften, Versicherungen, Hedgefonds, Stiftungen, Anm. d. Red.), die mit Immobilien zwar keine grosse, aber eine sichere Rendite erzielen wollen, weg von der Börse. Dazu kommt das Raumplanungsgesetz von 2015, das dem Landverschleiss Einhalt gebietet und bestehende Urbanität verdichtet. Da Landeinzonungen nicht mehr möglich sind, geraten bis jetzt industriell genutzte Gelände in den Radar von Wohnungsbau-Generalunternehmern, die Projekte institutionellen Anlegern anbieten. So kam es zur aktuell herrschenden Überproduktion von Wohnungen, was die Mietzinse unter Druck setzt.
Früher plante ein Baumeister mit seinem Architekten 30 Mietwohnungen aufs Mal ...
... und heute sind es, schauen Sie nach Kriens, Horw, Luzern-Nord oder Sursee, 200 bis 300 Wohneinheiten auf einen Schlag.
Zurück zum Wohneigentum. Kann es für die Banken zum Problem werden, in Form von sinkenden Hypothekareinnahmen, wenn weniger jüngere Menschen sich Wohneigentum leisten können angesichts der Preisentwicklungen?
Für uns als Bank ist es wichtig, dass sich ein Markt gleichzeitig entwickelt, die Realwirtschaft mit den Löhnen den Preisentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt folgt. Gibt es eine Abkoppelung, kann es eine Immobilienblase geben. So weit sind wir aktuell nicht. Kaufinteressierte können heute noch, vor allem an dezentralen Lagen, Objekte finden, bei denen man sagen kann: «Dieser Preis ist okay.» Wer bereit ist, eine halbe Stunde in ein Zentrum zu pendeln, findet auch heute noch schönes Wohneigentum unter einer Million. Zurück zur Frage: Die Banken werden sich hüten, als Preistreiber auf dem Markt zu agieren und eine Abkoppelung zu riskieren. Damit würden sie sich selbst bestrafen.
Wenn jemand Eigenmittel für Wohneigentum hat: Soll er oder sie zuschlagen oder warten, bis die Preise sinken?
Wie erwähnt: Wir haben keine Immobilienblase. Wer etwas sieht, das passt, und hofft, dass es preislich herunterkommt, der spekuliert wahrscheinlich falsch. 2020 gingen die Preise über alles gesehen rund 7 Prozent hoch. Darin sind auch Käufe enthalten, die eigentlich nicht in die Studie sollten. Zum Beispiel, wenn jemand ein Objekt unbedingt will und bereit ist, überzubezahlen. Der Markt insgesamt ist stabil, und es gibt keine Anzeichen für eine Trendumkehr.
Hat sich durch den erwähnten Kauf-Boom bei der Vergabe von Hypotheken etwas verändert bei den Banken?
Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma hat klare Regelungen aufgestellt zur Tragbarkeit und Amortisation von Hypotheken. Diese gelten für alle Banken, ob es gut läuft oder nicht. Die früher so genannten Bierdeckel-Hypotheken, die informell abgemacht wurden, sind heute unmöglich. Entweder ist die Lampe grün oder sie ist rot.
Sie sind Immobilienberater, eine Kundin, ein Kunde kommt zu Ihnen und möchte das günstige Eigenheim-Filetstück. Zu welcher Vorgehensweise raten Sie?
Das Suchen von Immobilien ist aktuell eine schwierige Sache, keine Frage. Eine Liste mit Filetstücken gibt es nun mal nicht. Die heutigen Online-Plattformen sind perfekt. Dazu haben wir als Kantonalbank, die überall im Kanton präsent ist, Eigenheimersteller auf dem Radar, weil sie unsere Kunden sind oder zumindest mit uns gesprochen haben. Ein Kontakt zu einer Bank ist also ratsam. Dazu kommt das Banale: beim Herumfahren auf Blachen und Plakate achten – und mal hinaufschauen.
Das ewige Thema: Die Hypothekarzinsen, wohin geht die Reise?
Es gibt wohl niemand, der wirklich zuverlässige Prognosen machen kann. Die Talsohle ist erreicht, aktuell zieht es zwar ein bisschen an, aber das kann genauso wieder fallen. Die Zinsen sind aktuell sehr tief. Natürlich wird es immer wieder etwas Bewegung geben, aber in absehbarer Zeit wahrscheinlich keine heftigen Ausschläge nach oben oder unten.
Werfen wir zum Schluss einen Blick in die Glaskugel: Kann sich jemand mit Durchschnittseinkommen in zehn Jahren Wohneigentum leisten in der Schweiz?
(denkt lange nach) Ich hoffe es. Ein wichtiger Faktor ist die Erbübermittlung. Das ist viel Kapital in Relation zu dem, was man durch Sparen aufbringen kann. Dieses Geld wird auch der zukünftigen Generation zur Verfügung stehen. Ausserdem haben Land und Objekte einen Maximalpreis. Wird dieser überschritten, kommt es zur erwähnten Entkoppelung. Dann kauft niemand mehr, und das will ja niemand im Immobilienmarkt. Ich bin somit optimistisch, mit einer Ausnahme: In urbanen Wohnlagen wird es in Zukunft noch schwieriger.
Andréas Härry