Die eigene Fahrweise reflektieren
Den Fahrausweis abzugeben fällt schwer. Bevor es kracht, sollten Selbsteinsicht und die medizinischen Untersuchungen den Schritt unterstützen. Franz Steinberger vom Strassenverkehrsamt des Kantons Luzern im Interview.
Franz Steinberger, die Babyboomer-Generation kommt ins Rentenalter. Graut es Sie vor der Vorstellung, bald so viele ältere Menschen auf der Strasse zu haben?
Keinesfalls. Autofahren gehört zu einer Kompetenz, die früh erworben und über Jahre hinweg regelmässig angewendet wird. Die in der Schweiz geschulte, vorausschauende Fahrweise schützt vor Unfällen. Durch die verkehrsmedizinischen Kontrollen im Alter sollen zudem nur Menschen am Strassenverkehr teilnehmen, welche den Mindestanforderungen im Sinne der Verkehrssicherheit genügen.
Was sagt Ihre Statistik für den Kanton Luzern? Wie stark sind automobile Personen über 75 in administrative Massnahmen (siehe Box) verwickelt?
Gemäss dem Bundesamt für Strassen beziehungsweise der Astra-Statistik 2019 gab es 180 Administrativmassnahmen von insgesamt 6793 Massnahmen im Kanton Luzern, das sind 2,6 Prozent.
Was sind die typischen Delikte dieser Generation?
Auffahrunfälle, Parkschäden, die Verwechslung von Brems- und Gaspedal, generell Unaufmerksamkeit.
Ist der autofahrerische Level der heute reiferen Generation höher als vor 10, 20 Jahren?
Die Zunahme der Mobilität in den letzten 30 Jahren führt zu mehr gefahrenen Kilometern in einem Menschenleben, was grundsätzlich mehr Erfahrung im Handling von Verkehrssituationen sowie einem besseren Verkehrssehen bedeutet.
Sie sprechen Administrativmassnahmen aus. Inwiefern spielt das Alter in der Bemessung solcher eine Rolle?
Das Strassenverkehrsgesetz wird nicht altersabhängig angewendet.
Ist man bei reiferen Menschen grosszügiger bei der Bemessung von Administrativmassnahmen als bei jungen Leuten?
Wir behandeln ältere Verkehrsteilnehmende nicht anders als jüngere. Die vorgeschriebenen medizinischen Mindestanforderungen müssen erfüllt sein. Bei einer Person im hohen Alter kann in spezifischen Fällen neben der Warnungsmassnahme auch eine Kontrollfahrt angeordnet werden, um die Fahrkompetenz nach einem Verkehrsunfall zu überprüfen.
Kann Ihre Behörde ab einem gewissen Alter befehlen: Der Ausweis ist jetzt weg, lebenslänglich?
Die medizinischen Mindestanforderungen des Lenkers, der Lenkerin müssen erfüllt sein. Solange diese so sind, droht ohne verkehrsrelevantes Vergehen kein Führerausweisentzug. Sollten temporäre oder dauerhafte medizinische Probleme vorliegen, kann der Ausweis entzogen werden. Verbessert sich der medizinische Zustand und die Anforderungen werden erfüllt, ist eine Wiedererlangung des Führerausweises innerhalb einer bestimmten Frist möglich.
Wie empfinden Sie den Umfang der ärztlichen Altersuntersuchungen?
Der praktizierte Level ist der Situation sowie den medizinischen Anforderungen angepasst und berücksichtigt die wichtigsten Elemente zur Wahrung der Verkehrssicherheit. Er ist insgesamt korrekt und umfassend.
Müsste man im Sinne der prophylaktischen Verkehrssicherheit nicht sagen: Mit 85 Jahren ist Schluss, egal, wie der Zustand eines Automobilen ist?
Nein, der Alterungsprozess ist individuell. Eine solche Bestimmung würde dem Einzelfall nicht gerecht.
Gibt es Tipps für reifere Menschen, wie sie selbst merken können, dass es Zeit wäre für eine Abgabe des Führerscheins?
Objektiv kann einzig der untersuchende Facharzt eine korrekte Beurteilung der Erfüllung der medizinischen Mindestanforderungen vornehmen. Eine Reflexion der eigenen Fahrweise und des Gesundheitszustandes, die Meinung eines jüngeren Verwandten zur Fahrweise, eine Fahrstunde bei einem Fahrlehrer, unerklärliche Schäden am Auto und anderes können weitere Hinweise zur eigenen Fahrkompetenz liefern.
Das Kernproblem ist die Einsicht der Älteren zuzugeben, dass es nicht mehr reicht. Gibt es einen Selbsttest, der Fakten liefert?
Jeder Automobilist kann sich selbst beurteilen mit dem Fahrsicherheits-Check der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU). Dieser besteht aus sechs Themengebieten: Das Fahren an sich, das Seh- und Denkvermögen, die Fitness und Gesundheit, Medikamente und Alkohol.
Worauf sollen Angehörige achten bei der Beurteilung der Fahrkünste ihrer Eltern und Grosseltern?
Auffälligkeiten im Alltag, die auf kognitive Einschränkungen hinweisen könnten. Auf die allgemeine gesundheitliche Situation und auf die Verkehrskompetenz wie Aufmerksamkeitsdefizite, Verlangsamungen und die Reaktionsfähigkeit. Letztlich kann aber nur der untersuchende Facharzt eine objektive Beurteilung der tatsächlichen gesundheitlichen Situation vornehmen.
Sind die aktuell angewandten Fristen für Altersuntersuchen in den Augen des Praktikers sinnvoll?
Das Alter für den ersten medizinischen Kontrolluntersuch zur Fahreignung wurde am 1. 1. 2019 von 70 auf 75 Jahre erhöht. Dies empfinde ich als angemessen, der Abstand von zwei Jahren zwischen den Altersuntersuchungen ist sinnvoll.
Andréas Härry