«Die Altstadt ist nicht tot»

Der Direktor von Museum Aargau und langjährige Verwaltungsrat des FC Luzern, Marco Castellaneta, spricht im Interview darüber, was ihn in seinem «Wohnzimmer» ärgert, was er von einem City-Management hält und wie er über das Lädelisterben denkt.

Marco Castellaneta (links) hat das Präsidium von Pierre Rügländer übernommen. Bild: Jakob Ineichen

Marco Castellaneta, weshalb übernehmen Sie dieses Amt, Ihnen ist ja wohl kaum langweilig?
Ich weiss, das sagen viele, aber es handelt sich hier um eine Herzensangelegenheit. Es ist tatsächlich eine emotionale Geschichte. Ich bin in der Altstadt ins Leben gestartet, denn meine Grossmutter hatte einen Hutladen, ich hatte später meine erste eigene Wohnung in diesem Quartier und habe insgesamt über 30 Jahre in der Altstadt gewohnt.

Aber Ihre Agenda ist relativ voll ...
Es ist eine Frage der Prioritätensetzung. Ich habe immer gesagt, ich mache nicht mehr als fünf Dinge. Ich beende deshalb mein Engagement als Verwaltungsrat des FC Luzern und werde auch im Weltverband der Schlösser mein Amt als Vizepräsident niederlegen. Wenn man mitgestalten will, muss man meistens auch mitarbeiten. Ich denke, dieser historische Kern von Luzern ist es wert, Zeit zu investieren.

Mal ehrlich: Ein FCL-Verwaltungsratsmandat oder das Vizepräsidium in der World Castle Association, dem Weltverband der Schlösser, bietet mehr Prestige als der Quartierverein Altstadt. Weshalb also dieser Entscheid?
Vom Prestige allein lebt man nicht. Vielleicht hat es auch mit der Lebensphase zu tun. Ich mache Dinge nicht mehr, weil sie gut klingen oder auch eine grössere, internationale Ausstrahlkraft haben. Mit 56 weiss ich, wo ich zu Hause bin (lacht). 

Sie verbindet viel mit der Altstadt, viele Luzernerinnen und Luzerner sind der Meinung, die Altstadt sei Tod. Schmerzt Sie die aktuelle Situation?
Nein. Vielleicht haben solche Aussagen meinen Entscheid, das Präsidium zu übernehmen, auch gestärkt. Denn es ärgert mich, wenn ich solche Sätze höre.

Weshalb?
Der Grundsatz «früher war alles besser» stört mich generell. Früher war die Situation in Luzern anders. Die Altstadt war gleichzeitig die Stadt. Viel mehr gab es nicht. Unterdessen ist die Stadt gewachsen, es ist nicht besser aber auch nicht schlechter, einfach anders. Die Altstadt war früher gleichzeitig Wohnstadt, Lebensstadt und Arbeitsstadt, weil es aussenrum nicht viel mehr gegeben hat, in einem gewachsenen Luzern ist sie heute «nur» noch der wunderschöne historische Kern der Innenststadt. Ein anderes Beispiel ist das Altstadtfest.

Was ist damit?
Auch das ist aus der Altstadt herausgewachsen. Aus dem Altstadtfest wurde das Luzerner Fest, das Fest einer ganzen Stadt.  Wir machen uns darum auch Gedanken, wieder ein reines Quartierfest zu organisieren – aber ein wirkliches Quartierfest, für die Leute, die dort wohnen oder arbeiten. Aber die Altstadt ist sicher nicht tot. Reklamationen gehen darum auch eher in die andere Richtung.

Was sind das für welche?
Dass die Altstadt nicht der Ort sein soll, an dem alles ausgetragen wird. Ob Marathon, Stadtlauf, Tanzfest, unzählige Polterabende, die Hochzeiten oder ein ständig belebter Rathausquai. 

Also werden Sie sich eher für mehr Ruhe einsetzen, anstatt für mehr Leben in der Altstadt?
Vielleicht muss man unterscheiden zwischen den Angeboten für die Altstadtbewohner und den Angeboten welche die Altstadt als Kulisse nutzen. Wir werden sicher Anlässe fördern, die zum Zusammenhalt der Bewohnenden dienen.

Was sollen das für Anlässe sein?
Klassische Angebote eines Quartiervereins, vom Monatsstamm über ein Schlittenrennen in der Hinter Musegg, Bauernhof-Zmorge oder die Quartierweihnacht. Das kleine Feine ist also gefragt.

Werden Sie sich aktiv dafür einsetzen, dass es weniger Anlässe für die grosse Masse gibt?
Wir sind in guter Balance. Es muss nicht deutlich leiser werden. Wir sind auf einem guten Weg und es gibt ja auch immer wieder Korrekturen in Sachen Bespielung der Altstadt. Zuletzt ist zum Beispiel der Flohmarkt ins Vögeligärtli gezogen. Das Setting stimmt, die Stadt macht hier gute Arbeit.

Stichwort Lädelisterben – ein Wandel der Zeit, den es zu akzeptieren gibt, oder wollen Sie sich aktiv für einen grösseren Mix einsetzen?
Es ist so, dass es zu meiner Jugendzeit andere Läden gab als heute. Läden wie einen Kohlehändler oder einen Sanitärinstallateur braucht es aber heute wohl nicht mehr auf dem Kornmarkt, da gibt es bessere Plätze, die besser erreichbar sind. Der Branchenmix passt sich den Gegebenheiten an. Von Lädelisterben könnten wir sprechen, wenn wir lange Leerstände wie in anderen Städten hätten.

Aber während Corona gab es auch Zeiten, zu denen es viel freie Ladenflächen gab. 
Ja die halbe Eisengasse und eine Ecke der Kapellgasse waren leer. Heute ist davon nur noch eine bis zwei Ladenflächen ungenutzt. Der Markt spielt also.

Ist ein City-Management, wie es aktuell ausgearbeitet wird, für die Altstadt eine sinnvolle Sache?
Nein, ich glaube nicht, dass man einen öffentlichen Raum so managen kann. Damit dies gelingen könnte, müsste als Grundlage eine gemeinsame Strategie und Ziele mit den verschiedenen Bezugsgruppen entwickelt werden. 

Wo sehen Sie die Hürden?
Man müsste mit internationalen Immobilienbesitzern und nationalen Ladenbetreibern, internationalen Ketten, aber auch mit den Bewohnenden und den Besuchenden, von lokalen, nationalen und internationalen Touristen in einen Prozess. Wer hat diesen Zugriff? Ein City-Manager würde sich aufreiben und würde im besten Fall ein Koordinator bleiben.

Wieso?
Der City-Manager wäre auf einem Territorium tätig, auf dem er selbst nicht bestimmen kann. Er könnte ja nicht über die Köpfe der Immobilienbesitzer hinweg entscheiden, an wen die Ladenfläche vermietet würden.

Haben Sie sich als Quartierverein innerhalb der Erarbeitung des Profils Ihre Meinung geäussert?
Nein, da waren wir nicht dabei. Wir sind aber bei den partizipativen Prozessen zum Car-Regime und Tourismusvision 2030 intensiv involviert und auch bei der Planung der Velo-Tiefgarage sowie der Umpositionierung des Museums ins Zeughaus.

Was haben Sie für eine Vision für den Quartierverein Altstadt?
Ganz bescheiden ein Quartierverein zu sein. Ein Quartierverein, welcher sich für Bewohnenden und Arbeitende sowie Gewerbetreibende einsetzt und diese Gruppen zusammenbringt. Ich freue mich darauf, mich für ein gutes Zusammenleben einzusetzen, damit die Altstadt nicht nur ein toller, touristischer Hotspot ist sondern ganz simpel auch Quartier sein kann.

Marcel Habegger

 

Box: Zur Person
Marco Castellaneta (56) konzipierte und leitete ab 2000 die Wirtschafts- und Konsum-Fernsehsendung «konsum.tv» auf SRF 2. Davor war er Moderator und Redaktor der TV-Sendung «Marktplatz» auf SRF, er lancierte als Geschäftsführer SAT.1 in der Schweiz den Live-TV-Fussball und war Morgenstimme und Redaktionsleiter bei Radio Pilatus und Schöpfer des «Rüüdigen Lozärner». Weiter leitet er als Geschäftsführer bis 2013 den Bereich Ringier Entertainment, war zuvor Mitglied der Ringier Konzernleitung und Konzernsprecher. Seit 2016 ist er Direktor Museum Aargau und Präsident Schweizer Schlösser. Beim FC  Luzern ist er seit 2010 Verwaltungsrat. Weiter ist er Mitglied im Vorstand der IG Weltoffenes Luzern sowie des Schloss Heidegg. Er Mitglied des TC Allmend, der Gemeinnützigen Gesellschaft Luzern, des Kiwanis Club Luzern, der SAC Sektion Pilatus sowie der Stiftung für die Erhaltung der Museggmauer und Amici des Fumetto Festivals.

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