«Der Feminismus erledigt nicht alles»

Aktuell liest und hört man vor allem über die Gefühlslage der Frauen. Und die Männer? Auf dem Inseli wird bis am 15. September ein Raum für «Männerthemen» angeboten.

Die Fachpersonen Roman Rieder (im Bild) und Livius Steiner ziehen eine positive Zwischenbilanz auf dem Inseli. Bild: Roger Grütter / LZ

Roman Rieder, was ist zeitgemässe Männlichkeit?

Diese Frage können wir nicht beantworten. Männlichkeit bedeutet für alle etwas anderes. Wir bieten den Rahmen, über genau dies zu diskutieren.

Wird ein Mann mit «klassischem Geschlechterrollenbild» bei Ihnen belehrt?

Nein, aber wir erlauben uns, Fragen zu stellen. Es gibt Menschen, die in der Selbstreflexion noch nicht bereit sind, festzustellen, dass Verhaltensmuster von der Gesellschaft aufgedrückt und sozialisiert sein können. Diese Reflexion regen wir an.

Wenn ein Mann zu Ihnen kommt, muss er ja für die Thematik bereits sensibilisiert sein. Sprich: Kommen nicht vor allem die «Falschen» zu Ihnen, die schon mitten in der Reflexion sind?

Natürlich kommen Männer zu uns, die mit unserem Netzwerk von Organisationen schon vertraut sind. Durch unseren Standort auf dem Inseli haben wir aber auch viel Laufkundschaft aus allen Altersklassen. Da entstehen spontane Dialoge, die Personen nehmen anschliessend einen Flyer mit und erscheinen bestenfalls an einer Veranstaltung. Natürlich kommen Männer zu uns, die mit unserem Netzwerk von Organisationen schon vertraut sind. Durch unseren Standort auf dem Inseli haben wir aber auch viel Laufkundschaft aus allen Altersklassen. Da entstehen spontane Dialoge, die Personen nehmen anschliessend einen Flyer mit und erscheinen bestenfalls an einer Veranstaltung. Es geht auch nicht darum, Menschen mit festgefahrenen Rollen- oder Sexualvorstellungen zu «bekehren», sondern darum, sich mit Menschen zu solidarisieren, welche sich auch für eine emanzipierte Zukunft einsetzen wollen, indem individuelle Entfaltung nicht durch gesellschaftliche Normen eingeschränkt wird.

Den klassischen «Macho», den erreicht Ihr aber kaum.

Stand heute ist das korrekt. Wobei die umgekehrte Bereitschaft, sich dem Gespräch zu stellen, ja auch kaum vorhanden ist. Wir erreichen aber ein sehr breites Spektrum von Leuten – politisch betrachtet, aber auch vom Alter her. Wir haben auch eine gute Durchmischung an kulturellen Hintergründen. Da hilft uns der Standort Inseli ohne Zweifel.

Sie sprechen andere Kulturen an: Darf bei Ihnen auch kontrovers diskutiert werden?

Es dürfen sich selbstverständlich auch kritische Stimmen äussern, alles andere wäre nicht ehrlich. So wird auch während der Veranstaltungen kontrovers diskutiert. Wichtig ist uns, dass diese verschiedenen Meinungen Platz haben und durch den Austausch mit anderen alle etwas für sich mit nach Hause nehmen können.

Wie reagieren Sie, wenn ein Mann bei Ihnen freimütig bekennt, dass er sich vom Zeitthema Feminismus «bedrängt» fühlt?

Wir können historischen Kontext liefern, um zu erklären, was aktuell passiert. Die Emanzipation der Frau ist über hundertjährig. Jetzt ist es an den Männern, die dazu passenden, entgegenkommenden Schritte zu gehen und zu verstehen, dass diese uns nicht aufgedrängt werden. Auf dem Inseli bieten wir einen Raum, um dies in Angriff zu nehmen.

Man spricht eigentlich nur von der Emanzipation der Frau. In welchen Bereichen sollte sich der Mann emanzipieren?

Wie eingangs gesagt, geben wir keine konkreten Massnahmen bekannt, wohin wir Männer uns entwickeln sollten. Die Emanzipation des Mannes muss von ihm selbst ausgehen, er kann sich nicht darauf verlassen, dass der Feminismus dies für ihn erledigt. Aus den Gesprächen an den Veranstaltungen ergeben sich zwei Themen, die aktuell die Männer stark beschäftigen: die Betreuung der Kinder und somit die Reduktion der Arbeitszeit sowie das Zeigen von und der Umgang mit den eigenen Emotionen.

Zeigen sich Männer offen bei Letzterem?

Es redet sich leicht über die Arbeit und solches. Schwieriger wird’s bei sehr persönlichen Themen. Zum Beispiel das Verhältnis zu den eigenen Eltern. Da sagen Männer, dass sie gar nicht wüssten, wer ihr Vater eigentlich sei, sprich: Das persönliche Verhältnis wurde nie geklärt. Ein 50-Jähriger erzählte mir zum Beispiel, dass er sich an der Abdankung des Vaters eines Freundes Gedanken darüber gemacht habe, was er über seinen Vater erzählen würde: Er wusste es nicht.

Sie bieten auch Veranstaltungen an, die nur für Männer sind.

Grundsätzlich sind unsere Veranstaltungen zugänglich für die ganze Bevölkerung. Aber wir bieten «Safe Spaces» an, bei denen Männer unter sich sind, zum Beispiel zum erwähnten Thema Emo­tionalität oder in den Bereichen Sexua­lität und Gesundheit. Unsere Vision ist natürlich, auch solche Themen geschlechtsunabhängig diskutieren zu ­können. Aber Stand jetzt in unserer Gesellschaft ist es wichtig, dass es solche «Safe Spaces» gibt.

Da werden Ihnen sehr persönliche Dinge mitgeteilt. Was ist Ihre Qualifikation, um damit umgehen zu können?

Ich habe soziale Arbeit studiert. Wobei – und das gilt genauso für meinen Partner Livius Steiner – wir soziale Arbeit mehr leben, als dass wir sie «machen». Was wir teilweise hören, ist «mega heavy Stuff», «spannend und bereichernd». Durch meine jahrelange Erfahrung im Umgang mit Traumata oder Menschen mit Fluchterfahrung habe ich gelernt,wie man Vertrauen schenken kann und sich dennoch so abgrenzen kann, sodass man das Gehörte «nicht mit nach Hause nimmt».

Werden der aktuellen Aktivität weitere Projekte folgen?

Das ist eine Frage des Geldes. Wir werden einen Bericht erstellen über den Erfolg dieses Pilotprojektes. Anschliessend planen wir zwei Optionen für die Sommermonate: Wir bleiben während der Phase der Zwischennutzung auf dem Inseli. Oder wir können einen Bus beschaffen, mit dem wir in der Zentralschweiz verschiedene Standorte, auch Festivals usw., bespielen können. Letzteres war eigentlich auch die Grundidee des Projektes.

Zeit für eine Zwischenbilanz: Was nehmen Sie persönlich mit von diesem Sommer auf dem Inseli?

Wir sind mit dem Erreichten sehr zufrieden. Ich spüre eine extreme Freude, diese aufsuchende Arbeit für alle Generationen machen zu dürfen. Auch mein Blick auf die Thematik hat sich erweitert. Ich werde inspiriert, reich an Erfahrungen. Diese Art der Kommunikation fasziniert mich sehr.

Interview: Andréas Härry

Mehr Infos: www.manne.ch 

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