«Das wäre ein Schuss ins Knie»
Der Direktor der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz, Adrian Derungs, erklärt, weshalb er in der Konzern-Initiative eine grosse Gefahr für Zentralschweizer Unternehmen sieht.
Adrian Derungs, die Industrie- und Handelskammer (IHZ) hat sich kürzlich bereits in den Abstimmungskampf zur Konzern-Initiative begeben. Wie präsent ist das Thema, voraussichtlich fünf Monate, bevor darüber abgestimmt wird, bei der Zentralschweizer Bevölkerung?
Es ist noch nicht richtig präsent, das ist jedoch verständlich. Die Abstimmungsfragen kommen in der Bevölkerung in der Regel erste einige Wochen vor dem Abstimmungstermin richtig ins Bewusstsein. Aber es ist ein sehr emotionales Thema, das spüre ich selbst auch in meinem Umfeld. Die Initianten haben bereits eine sehr aktive Kampagne lanciert. Die Unternehmensverantwortungs-Initiative ist für uns als Wirtschaftsverband neben der Begrenzungs-Initiative (Abstimmung im September, die Red.) ein sehr wichtiges Thema. Deshalb sind wir bereits an die Öffentlichkeit getreten.
Auf nationaler Ebene gibt es auch im bürgerlichen Lager Befürworter für die Initiative. Wie einig ist man sich bei der IHZ?
Das Thema wird kontrovers diskutiert. Im Vorstand, der aus 28 Personen besteht, ist die Haltung jedoch sehr klar: Die Initiative wird in Entwicklungsländern mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Bei den 800 Mitgliedern wird es auch Personen geben, die Sympathien für die Initiative haben. Aber wenn man mit den Unternehmern spricht, zeigt sich, dass die grosse Mehrheit die Initiative als sehr gefährlich einschätzt.
Der Kanton Zug, in dem beispielsweise die oft kritisierte Firma Glencore beheimatet ist, gehört nicht wie die anderen Zentralschweizer Kantone der IHZ an. Wie viele Firmen wären in der Zentralschweiz von einer Annahme der Initiative betroffen?
In der Schweiz geht man von 80 000 betroffenen KMU aus. Uns liegen aber keine genauen Zahlen zur Zentralschweiz vor. Man kann aber sagen, dass alle Unternehmen, die im Ausland tätig sind, gefährdet wären. Diese wären direkt von der massiven Ausdehnung der Haftungsregeln betroffen, obwohl man sagen muss, dass der grösste Teil der Unternehmen sich richtig verhält und korrekt wirtschaftet.
Sie müssten aber nicht fürchten, dass eine Grossfirma wie beispielsweise Glencore abwandern würde und der Kanton einen grossen Wirtschaftsplayer verlieren würden.
Natürlich haben viele die Rohstoffhändler im Visier, was ja mit dem Gegenvorschlag vom Parlament auch aufgenommen wurde. Aber es wären auch viele andere Branchen und Unternehmen von der Initiative betroffen. Die KMU würden unter Generalverdacht geraten, das ist extrem gefährlich. Dazu müssen wir nicht das «Abwanderungsgespenst» an die Wand malen: die drohenden Nachteile sind auch für unsere Unternehmen gross, die niemals wegziehen würden.
Für welche KMU wäre die Umsetzung der Initiative ein Problem?
Je nach wirtschaftlichen Beziehungen zu einem Geschäftspartner könnte ein Schweizer Unternehmen für ein Fehlverhalten eines Zulieferers bereits verantwortlich gemacht werden. Dafür ein Kontrollorgan aufzubauen, wäre für viele kleinere Unternehmen nicht umsetzbar. Das Anliegen der Initianten ist richtig, aber wir glauben nicht, dass diese Verrechtlichung und Amerikanisierung mit teuren und jahrelangen Prozessen der richtige Weg ist.
Sie wollen die Unternehmen nicht zu stark an die Leine nehmen, andererseits verschliessen Sie dabei auch die Augen vor Umweltverschmutzungen und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Da bewegen Sie sich auf einem schmalen Grat ...
Für die IHZ und alle Unternehmer, die ich kenne, ist es selbstverständlich, dass Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Wir teilen das Grundanliegen der Initiative, lehnen aber die extreme Volksinitiative ab. Deshalb ist es uns wichtig, dass dieses emotionale Thema sachlich diskutiert wird. Wir wollen, dass unsere Unternehmen fair wirtschaften. Wir sind aber der Meinung, dass gerade mit Blick auf Menschenrechte und Umweltschutz die Schweizer Unternehmen und der Staat im Bereich internationale Zusammenarbeit mehr bewirken als mit Gerichtsprozessen.
An welche Zusammenarbeiten denken Sie?
Die erwähnte Verrechtlichung erschwert die bereits bestehende partnerschaftliche Zusammenarbeit von Unternehmen, Staaten und NGO, die präventiv wirkt und nach Lösungen sucht. Oder ich denke auch an die Unternehmen, die unsere Lehrlingsausbildung in die ganze Welt hinaustragen: Diese wirtschaftliche Entwicklung ist die beste Armutsbekämpfung.
Aufgrund früherer Abstimmungen gab es auch Firmen, die einen Sitzwechsel ins Ausland ins Auge gefasst haben, ist dies aktuell bei Unternehmen, die in der Zentralschweizer angesiedelt sind, ein Thema?
Das sind Überlegungen, die sich Unternehmen machen müssen. Wenn man plötzlich eine Haftungsregelung hat, bei der die Unschuldsvermutung nicht mehr gilt, ist das wie bereits angesprochen mit riesigem Aufwand und grosser Unsicherheit verbunden. Im Kern stellt sich aber die Frage: Trauen wir unseren Zentralschweizer Unternehmen zu, auch ohne rigorose Haftungsregeln verantwortungsvoll mit Menschen und der Umwelt umzugehen? Es liegt an unseren Unternehmen, diese Verantwortung wahrzunehmen, ich persönlich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass unsere Unternehmen diese Verantwortung wahrnehmen. Die vielen korrekt handelnden Unternehmen unter Generalverdacht zu stellen, ist für mich nicht der richtige Ansatz.
Die Initianten beurteilen den Gegenvorschlag des Bundesparlaments als eine Alibiübung, bei der die Unternehmen lediglich einen Bericht verfassen müssten.
So einen Bericht schüttelt man nicht einfach aus dem Ärmel. Kommt der Gegenvorschlag zum Zug, werden wir zu den weltweit am weitesten regulierten Ländern aufschliessen. Der Gegenvorschlag tritt automatisch in Kraft, wenn die Volksinitiative abgelehnt wird. Aber auch heute sind unsere Unternehmen im Ausland nicht im rechtsfreien Raum; es gelten die Gesetze der jeweiligen Staaten und es gibt Massnahmen und Instrumente des Bundes, wie z. B. das Schiedsgerichtsverfahren des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco gemäss OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen.
Befürchten Sie einen Verlust von Arbeitsplätzen bei einer Annahme der Initiative?
Ich finde es nicht korrekt, da mit der Arbeitsplatzgefährdung zu argumentieren. Es geht mir um die grundsätzliche Betroffenheit und die damit verbundene Unsicherheit der KMU. Für Schweizer Firmen ist der internationale Konkurrenzkampf ohnehin bereits sehr hart, bei der Annahme würde er nochmals verschärft. Aufgrund der Corona-Krise wissen viele Branchen und Unternehmen zurzeit zudem nicht, wohin die Reise gehen wird. In Zeiten der grossen Unsicherheit auch noch im Bereich von zusätzlichen Haftungsregeln einen schweizerischen Alleingang zu wagen, wäre ein Schuss ins Knie. Das wäre nicht sehr intelligent.
Box: Eckpunkte der Initiative und des Gegenvorschlags
Die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» oder Unternehmungsverantwortungsinitiative wie sie oft genannt wird, verlangt, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz verpflichtet werden, regelmässig eine Sorgfaltsprüfung zu den Auswirkungen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt durchzuführen. Über das Ergebnis dieser Prüfung sollen sie Bericht erstatten. Verletzt ein Schweizer Unternehmen Menschenrechte oder Umweltstandards, so soll es für den Schaden aufkommen, auch wenn dieser durch eine Tochtergesellschaft im Ausland verursacht worden ist. Beim Gegenvorschlag würde wie bis jetzt die Tochterfirma vor Ort nach lokalem Recht haften. Gesellschaften des öffentlichen Interesses verpflichtet wären zu Berichterstattungen verpflichtet.
Marcel Habegger