Besuche gegen die Einsamkeit
Wie können IV-Bezüger in die Arbeitswelt integriert und ältere und behinderte Menschen gleichzeitig unterstützt werden? Die Stiftung Besuchsdienst Innerschweiz hat ein Angebot aufgebaut, von dem beide Seiten profitieren.
Als Katrin Steiner psychisch erkrankte, fiel ihr Leben komplett auseinander. Die gelernte Kinderkrankenschwester konnte nicht mehr ihren Beruf ausüben. Sie bezog eine IV-Rente und fand eine Beschäftigung an einem geschützten Arbeitsplatz bei der Stiftung Brändi. «Das half mir, ins Leben zurückzufinden. Ich vermisste aber meinen alten Pflegeberuf und den Kontakt zu den Menschen», erzählt die 45-Jährige. Per Zufall erfuhr sie von der Stiftung Besuchsdienst Innerschweiz, einem Angebot, das sich an betagte, behinderte oder einsame Menschen richtet, die sich zu Hause oder im Heim regelmässig Besuch wünschen. Die Besuche werden von Männern und Frauen durchgeführt, die wie Katrin Steiner aus psychischen oder psychosomatischen Gründen eine volle IV-Rente beziehen müssen.
«Das ist eine Win-win-Situation für beide Seiten», erklärt Christine Giger, Geschäftsführerin der Stiftung Besuchsdienst Innerschweiz. «Es gibt viele Menschen, die sich einsam fühlen und sich freuen, wenn jemand mit ihnen regelmässig einen Spaziergang macht, ihnen beim Einkaufen hilft, für sie kocht oder sich einfach Zeit für ein Gespräch oder eine Spielrunde nimmt. Die IV-Bezüger:innen wiederum erhalten so einen Arbeitsplatz, an dem sie eine sinnstiftende Tätigkeit ausüben können und in Kontakt mit anderen Menschen stehen.»
Entlastung für Pflegepersonal
Die Stiftung Besuchsdienst Innerschweiz gibt es in Luzern bereits seit 22 Jahren. «Das Konzept haben wir ursprünglich aus Basel übernommen», erzählt Giger. «Die Albert-Koechlin-Stiftung hat 1999 das Projekt in Luzern ins Leben gerufen, weil sie darin grosses Potenzial gesehen hat.» Eine Besonderheit am Konzept sei, dass die Besuche immer von der gleichen Person durchgeführt werden und so zwischen Besuchenden und Kund:innen eine besondere Beziehung und Vertrauensbasis aufgebaut werden könne. «Es gibt Tandems, die bereits seit 20 Jahren bestehen», sagt die Geschäftsführerin stolz. «Das ist nicht nur für die Betroffenen selbst ein grosser Mehrwert. Auch Angehörige und das Pflegepersonal werden dadurch entlastet, denen im Alltag oft die Zeit fehlt, diese wichtige Betreuungsarbeit zu leisten.»
Mittlerweile werden vom Besuchsdienst in der ganzen Innerschweiz jährlich bis zu 200 Menschen besucht. Die rund 80 Besucher:innen kommen so gemeinsam auf 160 Einsätze pro Woche. Auch die Geschäftsstelle in Luzern ist zu einem siebenköpfigen Team angewachsen. Dieses koordiniert die Besuche, rekrutiert neue Besucher:innen und bildet diese entsprechend aus. «Eine professionelle Betreuung ist uns wichtig. Alle, die neu bei uns anfangen, absolvieren zuerst eine dreimonatige Weiterbildung», sagt Giger. «Dort lernen sie alles Wissenswerte über Erkrankungen wie zum Beispiel Demenz und trainieren ganz alltagspraktische Dinge wie den Umgang mit einem Rollstuhl.»
Gewinn von mehr Selbstvertrauen
Auch Katrin Steiner machte diese Weiterbildung, nachdem sie sich beim Besuchsdienst erfolgreich beworben hatte. Mittlerweile arbeitet sie seit fünf Jahren für die Stiftung. «Ich habe dadurch wieder neues Selbstvertrauen gewonnen. Es gibt mir ein so gutes Gefühl, wenn ich Menschen helfen und ihnen etwas Gutes tun kann.» Etwas vom Schönsten für die ehemalige Pflegerin sei, wenn sie die strahlenden Augen ihrer Kunden sehe, die mit Vorfreude ihren Besuch erwarten. «Ich habe gelernt, dass es nicht die grossen, sondern die kleinen Dinge sind, die das Leben wertvoll machen. Die Freude der Menschen zu spüren, wenn ich sie besuche, ist für mich Lohn genug.»
Neben diesen positiven Einflüssen auf die persönliche Entwicklung, die Christine Giger bei vielen Besuchenden beobachtet, gibt es auch eine finanzielle Entlöhnung. Mit einem Stundenlohn von 13 Franken ermöglicht die Arbeit beim Besuchsdienst einen kleinen Nebenerwerb zur IV-Rente. «Unsere Kunden zahlen pro Stunde 19 Franken. Wir sind sehr dankbar, dass wir zusätzlich finanzielle Unterstützung von den Kantonen, der Albert-Koechlin-Stiftung und der IV Luzern erhalten. Sonst könnten wir das Angebot in dieser Art nicht realisieren», erklärt Giger.
Steigende Nachfrage
Weil bis jetzt nur IV-Bezüger:innen mit einer vollen Rente finanziert werden und beim Besuchsdienst arbeiten können, verzeichnet die Geschäftsstelle zurzeit einen leichten Rückgang bei der Anzahl Besucher. «Dies hängt unter anderem sicherlich damit zusammen, dass heute weniger Personen eine volle IV-Rente zugesprochen wird», erklärt Giger. «Auch in Zukunft wird sich die Stiftung Besuchsdienst Innerschweiz für Menschen mit einer psychischen oder psychosomatischen Beeinträchtigung einsetzen», so Giger. «Fakt ist, dass die Bevölkerung älter wird und damit die Nachfrage nach Menschen steigt, welche gerne Betreuungs- und Besuchsaufgaben übernehmen. «
Anna Meyer
Mehr Infos auf www.besuchsdienst-is.ch