Armutsbekämpfung durch Überbrückungshilfe

Während der Coronapandemie sind viele Ausländerinnen und Ausländer in prekären Beschäftigungsverhältnissen finanziell in Not geraten. Grund ist auch die Migrationsgesetzgebung des Bundes: Wer einen B- oder einen C-Ausweis hat, läuft Gefahr, bei Sozialhilfebezug den Aufenthaltsstatus zu verlieren. Um die Armut der Betroffenen zu lindern, hat die Stadt Luzern das Pilotprojekt «Überbrückungshilfe» lanciert.

Eine Beratung wie auf diesem gestellten Bild ist Voraussetzung für den Bezug von Überbrückungshilfe. Bild: Kellenberger Kaminski

Frau T. ist verzweifelt. Sämtliche finanziellen Reserven der 48-jährigen Polin sind aufgebraucht, Geld leiht ihr niemand mehr. Mit der Miete ist die geschiedene Frau seit zwei Monaten im Rückstand. Die dringend benötigten orthopädischen Einlagen und Arthrosemittel kann sie sich nicht mehr leisten. Schuld für die finanzielle Not ist zum einen die Pandemie. Wegen Corona hat Frau T., die seit 20 Jahren in Luzern lebt und auf Stundenbasis als Reinigungskraft arbeitet, kaum noch Aufträge. Schuld ist zum anderen aber auch die schweizerische Gesetzgebung. Denn Frau T. hätte eigentlich Anspruch auf Sozialhilfe – aber gemäss Ausländer- und Integrationsgesetz könnte ihr bei einem Bezug die Aufenthaltsbewilligung nicht mehr verlängert werden. Deshalb verzichtet sie aus Angst auf Sozialhilfe, verschuldet sich aber immer mehr. Ein Teufelskreis.

 

Geld für Essen, Kleider, Gesundheit

Dieses Beispiel ist fiktiv. In der Schweiz stecken jedoch viele Ausländerinnen und Ausländer in einem ähnlichen existenziellen Dilemma. Die Stadt Luzern will nun analog der Stadt Zürich etwas gegen das Leid dieser Personen unternehmen. Seit Anfang September 2021 läuft das Pilotprojekt «Überbrückungshilfe». Es ist auf 18 Monate ausgelegt und dient der befristeten Überbrückung von Notsituationen für Menschen in prekären finanziellen Lagen. Vorab soll der Lebensbedarf gesichert werden. Dazu gehören insbesondere Wohnen, Essen, Kleider, Gesundheit. Die finanzielle Unterstützung kann von einigen hundert bis wenigen tausend Franken reichen. Sie erfolgt zusammen mit einer professionellen persönlichen Beratung. Zielgruppen sind zum einen armutsbetroffene Einzelpersonen und Familien mit B- oder C-Bewilligung. Zum anderen können auch armutsbetroffene, nicht registrierte Sans-Papiers mit Wohnort Stadt Luzern einen Beitrag prüfen lassen. Voraussetzung sind mindestens fünf Jahre Wohnsitz in der Schweiz, davon zwei Jahre in der Stadt Luzern. In der Beratung wird mit den betroffenen Ausländerinnen und Ausländern sorgfältig geklärt, wo und wie bei den Einnahmen und den Ausgaben Verbesserungen erzielt werden könnten. Sans-Papiers dürfen nur Hilfe mit Blick auf die Wahrung ihrer Grundrechte, wie Gesundheit oder Überlebenshilfe, erhalten. Sie werden auch im Hinblick auf eine allfällige Rückkehr ins Heimatland unterstützt. 

 

Kooperation mit Fachstellen

Finanziert wird das Projekt mit 400 000 Franken aus dem Margaretha-Binggeli-Fonds. Dieser ist für Personen gedacht, die sich vorübergehend in sozialer Not befinden und keine Sozialhilfe beziehen. Der springende Punkt: Beiträge aus dieser Quelle haben für die Bezügerinnen und Bezüger keine ausländerrechtlichen Folgen – wie etwa den befürchteten Verlust der Aufenthaltsbewilligung. Für die Umsetzung des Pilotprojekts arbeitet die Stadt mit Caritas Luzern und der Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers Luzern zusammen. Sie verfügen über langjährige Erfahrung und garantieren, dass die Gelder entsprechend den Vorgaben verteilt werden. Finanziell stehen der Caritas Luzern 90 Prozent der Summe zur Verfügung. Die Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers erhält 6 Prozent. 
4 Prozent sind für die Evaluation reserviert. 

 

Not lindern, Perspektive aufzeigen

Sozial- und Sicherheitsdirektor Martin Merki ist überzeugt: «Mit diesem Projekt können wir eine kritische, durch die Pandemie verstärkte Armutsgefahr bekämpfen und das Leben von vielen Betroffenen stabilisieren.» Armutsbekämpfung sei eine zentrale Aufgabe der Städte. Die Städte setzen sich auf nationaler Ebene ein für eine Entflechtung des Ausländerrechts mit dem Sozialhilfebezug. «Der ständige Überlebenskampf ist sehr belastend für die Betroffenen und deren Umfeld und führt zu sozialer Isolation anstelle von Integration», sagt Daniel Furrer, Geschäftsleiter Caritas Luzern. Er ist sehr froh um die Initiative der Stadt Luzern: «So können wir jenen Menschen helfen, deren Situation durch die Pandemie noch prekärer geworden ist, ihre akute Notlage lindern und ihnen längerfristig eine Perspektive aufzeigen.»

 

Hinweis

Informationen zum Projekt und Beratung gibt es bei der Caritas Luzern (041 368 52 73, sozialberatung@caritas-luzern.ch) sowie der Sans-Papiers-Beratungsstelle (041 240 24 10, luzern@sans-papiers.ch). 

Sibylle Stolz Niederberger,
Quartiere und Integration

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