«6-Jährige sind überfordert»

Heute eröffnet Ebikon mit der Polizei den neuen Verkehrsgarten. Verkehrsinstruktor Bernhard Wiss spricht im Interview darüber, wie Kinder richtig an den Strassenverkehr herangeführt werden.

Verkehrsinstruktor Bernhard Wiss auf dem neu gestalteten Verkehrsgarten beim Schulhaus Zentral in Ebikon. Bild: PD

Bernhard Wiss, in den vergangenen Jahrzehnten erhöhte sich die Sicherheit der Kinder bis 14 Jahre im Strassenverkehr schweizweit massiv. Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?
Für die erfreuliche Entwicklung spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Neben der wichtigen Zusammenarbeit von Eltern, Schule und Polizei im Bereich der Schulung und Information sind auch Anpassungen an der Infrastruktur und Gesetzesanpassungen wichtige Faktoren.
 
Lässt man die Kinder heutzutage tendenziell später in den Strassenverkehr? 
Darüber könnten wir nur spekulieren.
 
Was ist denn neu am Verkehrsgarten in Ebikon?
Er wurde komplett neu gestaltet, damit er wieder für den Verkehrsunterricht und als attraktive Freizeitgestaltung genutzt werden kann.
 
Wer darf ihn nutzen?
Der Verkehrsgarten dient als Schonraum, in dem die Kinder zu Fuss oder mit ihrem Fahrrad die wichtigsten Verkehrsregeln und Fahrmanöver trainieren können. Der Verkehrsgarten steht in erster Linie den Schulen und der Polizei für den regelmässigen Verkehrsunterricht zur Verfügung. Der Platz darf aber auch in der Freizeit genutzt werden. Kinder erhalten so ein zusätzliches Angebot für eine attraktive Freizeitgestaltung.
 
Der Verkehrsgarten richtet sich vor allem an Kinder der 3. und 4. Klassen. Die Prüfung gibt es gar erst am Ende der Primarschule. Heisst das, vor der Oberstufe sollte sich ein Kind nicht mit dem Fahrrad im Strassenverkehr bewegen?
Die Entscheidung, ein Kind unbegleitet Velo fahren zu lassen, ist abhängig vom Entwicklungsstand des Kindes und vom Verkehrsumfeld. Wir empfehlen die uneingeschränkte alleinige Teilnahme am Verkehr erst nach dem Absolvieren der Radfahrerausbildung im Rahmen der Radfahrertests. Nur geübte Kinder sollten auf der Strasse fahren.
 
Gibt es ein Alter, bis zu welchem es gar verboten ist?
Kinder dürfen vor dem vollendeten sechsten Altersjahr auf Hauptstrassen nur unter Aufsicht einer mindestens 16 Jahre alten Person Velo fahren. Sie müssen die Pedale treten können. Für die übrigen Strassenkategorien ist kein gesetzliches Mindestalter mehr vorgeschrieben.

Wie beurteilen Sie die Fähigkeiten der Kinder heute? Fahren sie besser als vor 20 oder 30 Jahren? 
Die Kinder selber haben sich nicht verändert. Führt man sie frühzeitig an das Radfahren heran, haben sie Spass und entwickeln die nötigen Fähigkeiten, um sicher mit dem Fahrrad unterwegs zu sein.
 
Was raten Sie Eltern, deren Kinder gut Fahrrad fahren? Wie führt man sie an den Strassenverkehr heran? 
Zwar dürfen Kinder in der Schweiz laut Gesetz ab dem 6. Geburtstag auch auf Hauptstrassen allein Velo fahren – vorher nur mit einer mindestens 16 Jahre alten Begleitung –, aber entwicklungsbedingt sind Sechsjährige im Strassenverkehr noch überfordert. Ihre Wahrnehmung, ihre Bewegungsabläufe und ihr Sinn für Gefahren sind noch nicht ausgereift. Deshalb ist es wichtig, mit Kindern das sichere Velofahren ausgiebig zu üben: idealerweise in einem Verkehrsgarten oder auf einem Vorplatz, dann auf wenig befahrenen Quartierstrassen und schliesslich im anspruchsvolleren Strassenverkehr.

Wenn man als Eltern mit dem Kind im Strassenverkehr unterwegs ist: Fährt man da besser vor dem Kind, um die Gefahren besser kommen zu sehen, oder hinten dem Kind, um die Fahrweise des Kindes besser zu kontrollieren?
Idealerweise begleiten zwei Erwachsene das Kind bei den ersten Fahrten im Verkehr. Eine Person fährt als gutes Beispiel voran. Die zweite Person fährt dahinter und kommentiert, worauf zu achten und wie zu fahren ist.

Und wenn die Zweierbegleitung nicht möglich ist?
Dann muss situativ entschieden werden, ob Sie besser voraus- oder hinterherfahren. Wer vorausfährt, hat den Vorteil, das richtige Verhalten zu zeigen – sieht aber nicht, was das Kind tut. Wer hinter dem Kind fährt, hat die Übersicht und kann Anweisungen geben – das Kind kann sich aber an niemandem orientieren.
 
Dürfen Kinder auf dem Trottoir fahren?
Neu seit 2021: Kinder bis 12 Jahre dürfen mit dem Velo auf dem Trottoir fahren, wenn kein Veloweg oder Velostreifen vorhanden ist. Natürlich ist auch auf dem Trottoir Vorsicht geboten. Es kann auch hier zu gefährlichen Situationen kommen, beispielsweise bei Hauseinfahrten und Parkplätzen. Die Kinder müssen ausserdem auf Fussgänger:innen Rücksicht nehmen und ihnen den Vortritt lassen. 

Mit den E-Bikes und allen anderen neuen Fahrzeugen, die sich noch im Verkehr bewegen, lauern mehr Gefahren. Gibt es da gerade für Kinder was Besonderes zu beachten?
Wir stellen leider immer wieder Kinder fest, die mit Elektrotrottinetts unterwegs sind. Das ist sehr gefährlich. Die Kinder sind entwicklungsbedingt nicht in der Lage, ein solches Fahrzeug zu führen. Diese Fahrzeuge dürfen erst ab 16 Jahren oder mit einem Führerausweis für Mofas gefahren werden. Wir empfehlen, dass Kinder den Schulweg zu Fuss absolvieren.
 
Interview Marcel Habegger

 

Die vier wichtigsten Tipps
• Dran denken: Kinder tragen immer einen Velohelm.
• Velofahren abseits der Strasse üben.
• Kinder sichtbar machen.
• Kinder erst alleine auf die Strasse lassen, wenn sie die nötigen Fähigkeiten besitzen.

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