100-jährige Granaten
Eine Explosion vor über 100 Jahren beschäftigt die Luzerner Polizei und das Militär noch heute. Mehrere tausend Handgranaten mit einer Restenergie befinden sich noch im Rotsee. Spezialisten haben Anfang September erneut 20 davon aus dem See geborgen.
Inmitten des Ersten Weltkrieges explodierte am 20. Oktober 1916 ein Magazin mit Handgranaten des Typs Siegwart DHG 16 oberhalb des Rotseeufers. Die Schweizer Armee hat die Granaten während des Ersten Weltkrieges getestet, zum Einsatz kamen sie jedoch nie. Hergestellt wurden die sogenannten Defensivgranaten vom Privatbetrieb Siegwart am Rotsee. Als Mitarbeitende die mit Handgranaten gefüllten Kisten verlöteten, kam es zur Explosion. Fünf Angestellte kamen dabei ums Leben. Aufgrund der Explosion des gesamten Magazins wurden Munition und Gebäudeteile im Radius von 200 Metern in den Rotsee geschleudert.
Nach der Abwassersanierung und dem Ausbau der Rotseebadi wurde 1979 erstmals eine Suche und Bergung von Granaten durchgeführt, damit die Badegäste dort gefahrlos schwimmen und tauchen konnten. 2000 und 2001 wurden zwei weitere Bergungsgänge durchgeführt, um Handgranaten, die sich bis zu 15 Meter tief in der Nähe der Rotseebadi befanden, zu sichern. Durch Hinweise aus der Bevölkerung kam es letztes Jahr und Anfang September 2020 zu weiteren Bergungen. «Man schätzt die Anzahl Handgranaten im See auf über 10 000 Stück», sagt Christian Bertschi, Kommunikationschef der Luzerner Polizei. Bisher hat man rund 1700 Sprengkörper geborgen.
Sicherheit geht vor
Bei den Bergungsarbeiten sind nebst Polizeitauchern der Luzerner Wasserpolizei auch Mitarbeiter der Schweizer Armee im Einsatz. Die Taucheinsätze und die eigentliche Bergung der Munition leisteten Spezialisten des Kommandos «Kamir», des Kompetenzzentrums der Armee für den Bereich Kampfmittelbeseitigung und Minenräumung. Die Polizeitaucher dienen dabei als Sicherungstaucher und sitzen im Polizeiboot um zu helfen – falls den Militärtauchern etwas zustossen würde.
In einem weiteren Boot sind Spezialisten der Armee. Sie nehmen die Granaten von den Tauchern entgegen und fahren diese ans Ufer zum Transporter. Mit dem explosionssicheren Spezialtransportfahrzeug werden die Handgranaten zur fachgerechten Entsorgung in die Ruag nach Altdorf gebracht. Der Rotsee sowie der Wanderweg entlang des Rotsees müssen bei diesen Vorgängen aus Sicherheitsgründen kurzzeitig gesperrt werden. Da die Handgranaten immer noch eine Restenergie enthalten, muss bei jeder Bergung zuerst die umliegende Fläche evakuiert werden. «Der in den Handgranaten enthaltene Sprengstoff ist so weit degeneriert, dass er nur noch sehr geringe Leistungen aufweist. Bei einer allfälligen Umsetzung kann es aber nach wie vor zu schweren Verletzungen kommen», erklärt Alex Spora, Chef Einsatz der Kampfmittelbeseitigung und Minenräumung.
Kriegswaffen im Wasser lassen
«Solange die Handgranaten im Wasser bleiben, sind sie für die Bevölkerung ungefährlich», so Spora. Da die Granaten nicht wasserdicht verschlossen wurden, ist das Zündungssystem nass und kann in diesem Zustand nicht zur Auslösung gebracht werden. Werden die Handgranaten aber aus dem Wasser genommen, getrocknet und erwärmt, muss davon ausgegangen werden, dass die Gefahr einer Auslösung wieder besteht. «In heiklen Situationen muss die Handgranate im Wasser gesprengt werden. Diese sprengtechnische Beseitigung würde grosse Risiken für die Umwelt mit sich bringen. Durch die Sprengung würde das Quecksilber vom Schwefel getrennt werden und könnte somit in die Umwelt gelangen», erklärt Spora. Bei den Bergungen im Rotsee ist dies noch nie vorgefallen.
Zuständigkeit des Kantons
Da die Schweizer Armee die Granaten nie übernommen hat und das Herstellerunternehmen Siegwart nicht mehr existiert, muss der Kanton Luzern die Kosten für die Entsorgung übernehmen. «Es ist auch eine Frage des Budgets, wie viele Granaten wir jeweils entsorgen können», so Bertschi. Dieses Jahr konnten die Taucher der Armee 20 Handgranaten aus dem Rotsee entfernen. «Vorgesehen war die Bergung von 59 Stück; da jedoch das Wasser sehr trüb war, konnte man nicht alle bergen», erklärt André Häfliger, stellvertretender Chef Wasserpolizei Luzern.
Elma Softic