Zuerst Locarno, jetzt Luzern

«Monte Verità – Der Rausch der Freiheit» von Stefan Jäger feierte am Filmfestival in Locarno Anfang August Premiere. Heute Dienstag wird er im Bourbaki und am 26. August im Open Air zu sehen sein.

Hermann Hesse (Joel Basman) (l.), Hanna Leitner (Maresi Riegner, 2. v. l.), Ida Hofmann (Julia Jentsch) und Otto Gross (Max Hubacher, r.) auf dem Monte Verità. Bild: tellfilm, Grischa Schmitz, DCM

Hermann Hesse (Joel Basman) (l.), Hanna Leitner (Maresi Riegner, 2. v. l.), Ida Hofmann (Julia Jentsch) und Otto Gross (Max Hubacher, r.) auf dem Monte Verità. Bild: tellfilm, Grischa Schmitz, DCM

Regisseur Stefan Jäger. Bild: PD

Regisseur Stefan Jäger. Bild: PD

Der Monte Verità liegt nur wenige Kilometer von der Piazza Grande in Locarno entfernt. Es gäbe also fast keine bessere Stätte, um die Premiere, von «Monte Verità», dem Film des Meggeners Stefan Jäger, zu feiern. Auf diesen Berg haben sich Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Aussteiger zurückgezogen um einen Kontrast zur Industrialisierung zu schaffen. Selbstversorgung, Emanzipation und Freikörperkult standen im Zentrum. Es heisst, der Monte Verità bei Ascona habe Hermann Hesse für das Buch «Siddhartha» inspiriert. Der Schriftsteller hatte 1907 auf dem Wahrheitsberg, wie der Berg ebenfalls genannt wird, einen Alkoholentzug gemacht.

Die Spannung im Film lässt nicht lange auf sich warten. Hanna (Maresi Riegner) lebt mit ihrem gewalttätigen Mann und den zwei Kindern in Wien. Eines Nachts reisst sie aus, lässt Mann und Kinder zurück, um sich und ihr Glück in der Ferne zu finden. Dass Hanna ihre Kinder zurücklässt, sorgt für eine erste überraschende Handlung im Film. «Die überstürzte Flucht zeigt, in welchem Dilemma unsere Hauptfigur steckt. Dass sie die Kinder zurücklassen muss, stürzt sie bald schon in grosse Verzweiflung», erklärt Regisseur Stefan Jäger.

Stattdessen sucht sie ihren Therapeuten auf, der auf dem Monte Verità versucht, sein  Drogenproblem zu lösen. Der Psychoanalytiker Otto Gross (Max Hubacher) ist ebenfalls eine reale Figur, die auf dem Monte Verità ein- und ausging. Er stand für den Freitod ein und wurde nach zwei Todesfällen in der Kommune auf Monte Verità polizeilich gesucht. Im Film ist er überzeugt, dass Sex mit Patientinnen zur schnelleren Genesung verhilft. So baut sich zwischen Hanna und ihm eine Spannung auf. Gleichzeitig zweifelt Hanna an ihrer Entscheidung, die Kinder zurückgelassen zu haben. Der freizügige Lebensstil auf dem Monte Verità schockt sie gleichsam, wie er sie in den Bann zieht. Sie freundet sich mit Lotte Hattemer (Hannah Herzsprung) an. Die Deutsche gehörte zu den Gründungsmitgliedern auf Monte Verità, war die Tochter des Berliner Bürgermeisters. Auch ihre liebevolle, aber gleichzeitig leidende Figur fasziniert Hanna. Die Wienerin beginnt sich selbst zu entdecken. Die Fotografie, die ihr zu Hause verboten war, erfüllt sie. Zahlreiche von Monte Verità gemachte Bilder konnten nie einem Urheber zugewiesen werden. Stefan Jäger schuf mit Hanna eine Frau, die diese Fotografien gemacht haben könnte. Daneben ist die starke Ida Hofmann (Julia Jentsch), die ihren Mann auf Reisen schickt, um Geld für die Kommune zu sammeln. Stefan Jäger zeigt damit am Rande auf, dass auch auf Monte Verità nicht immer die harmonische Welt herrschte. Darüber, wie die Kommune leben und das Leben auf dem Berg finanzieren sollte, schieden sich bereits wenige Jahre nach der Gründung die Geister. Die eine Gruppe baute ein Sanatorium auf, um die Existenz zu sichern, der andere Teil zog sich in Ruinen zurück und ernährte sich weiterhin von dem, was ihnen die Natur anbot. Mittlerweile gehört das Gebäude dem Kanton Tessin, der gemeinsam mit der ETH Zürich ein Kongresszentrum betreibt. An die Ideen der Gründer Anfang des 20. Jahrhunderts erinnert nur noch ein Museum. Dieser Teil der Geschichte ist aber im Film lediglich eine Randnotiz.

 

Mehr zugehört

Stefan Jäger lässt die Zuschauerinnen und Zuschauer lange im Ungewissen, welche Wendungen der Film noch nehmen wird. Da «Monte Verità» nicht einfach eine Nacherzählung und Hannah eine fiktive Figur ist, weiss der Betrachter nicht bereits vor dem Film, in welche Richtung die Handlung geht. Wird sich der Ehemann, der seine Frau mit den Kindern besuchen kommt, etwa entschuldigen und sie zurückkehren? Dies bleibt sehr lange offen. «Ich wollte dieses Mal so viel wie möglich den Crewmitgliedern zuhören», erzählt Stefan Jäger zur Produktion. «Dadurch ist eine enorme Kraft mit sehr vielen Inputs entstanden. Das wollte ich den Zuschauer spüren lassen.» – Das ist ihm gelungen.

Marcel Habegger

 

Veranstaltungshinweise: Dienstag, 17. August, 20.30 Uhr, Bourbaki Luzern «Monte Verità – Der Rausch der Freiheit» mit Stefan Jäger als Gast.

Donnerstag, 26. August, 21 Uhr, Open-Air-Kino Luzern am Alpenquai «Monte Verità  – Der Rausch der Freiheit» mit Regisseur Stefan Jäger als Gast.

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