«Weshalb wir laut werden? Weil uns niemand ernst nimmt
Die «Luzerner Zeitung» lud am Donnerstag zum Kultur-Podium. Kulturschaffende liessen dabei in ihre Gemüter während Covid-19 blicken.
Sie sitzen alle im selben Boot, trotzdem haben sie alle drei andere Ausgangslagen: Kari Bründler, Direktor des Blues Festival, Marco Liembd, Geschäftsführer der Schüür, und Andréas Härry, Co-Leiter des Le Théâtre in Emmen. Die drei diskutierten am Donnerstag mit Arno Renggli, Leiter Gesellschaft und Kultur der «Luzerner Zeitung», über die aktuelle Lage.
Kari Bründler ist persönlich nicht auf den Erfolg des Blues Festival angewiesen. Die Schüür gehört der Stadt Luzern, sprich die Schüür bezahlt keine Miete, ansonsten ist der Kulturbetrieb selbst um seinen Erfolg besorgt. Das Musicalhaus Le Théâtre ist ein rein kommerzieller Betrieb ohne Subventionen.
«Man fühlt sich wie im März. Man weiss vor keinem Wochenende, ob man den Betrieb offen halten kann», sagt Marco Liembd zur aktuellen Lage. Das Blues Festival hat die Ausgabe 2020 bereits vor Monaten abgesagt. Auch das Le Théâtre verzichtet auf die Musicalproduktion «On your Feet», die im Dezember hätte starten sollen, neuer Termin ist im Sommer 21. «Wir haben vor allem noch wegen unserer Angestellten geöffnet», spricht Andréas Härry die aktuelle schwierige Lage an. Das Le Théâtre beschäftigt mit dem Restaurationsbetrieb rund 20 Personen.
«Wir sind systemrelevant»
Von kaum einer anderen Branche war in der Krise so viel in den Medien zu lesen wie von der Kultur. «Ist diese Aufmerksamkeit gerechtfertigt», wollte Arno Renggli wissen. Marco Liembd ist davon überzeugt: «Kultur ist systemrelevant. Kultur ist ein Element, das die Gesellschaft braucht. Sie wird immer noch nicht als eigene Branche angeschaut, obwohl wir gleich viel Wertschöpfung wie der Tourismus generieren und obwohl schweizweit 250 000 Personen in der Kultur tätig sind», sagt Liembd. «Weshalb müssen wir laut werden? Weil uns niemand ernst nimmt», kritisiert er. Schon dreimal laut geworden, aber offenbar noch nicht richtig gehört wurde das Le Théâtre, dass bereits dreimal beim Kanton um finanzielle Hilfe in der Krise gebeten hat, dreimal jedoch vertröstet wurde oder um zusätzliche Unterlagen gebeten wurde. «Wir sind offensichtlich ein komplexer Fall, aber langsam wird die Zeit knapp», so Andréas Härry. «Wir haben bisher an diesen Weg geglaubt und haben auch unsere Erfolge gefeiert», sagt Härry, weshalb man bisher auf Subventionen verzichtet hat. «Nun zeigt sich, dass das Konzept Le Théâtre nicht krisenresistent ist», gesteht Andréas Härry ein. Doch ist es korrekt, dass das Musicalhaus nun ebenfalls beim Kanton anklopft? «Ja, das ist unbestritten», sagt der kantonale Kulturförderer Stefan Sägesser, der ebenfalls vor Ort ist.
Nach Marco Liembd haben es die Kulturschaffenden in der Vergangenheit verpasst, ihre Wichtigkeit aufzuzeigen. «Wir schaffen Aufträge für andere Firmen, wir generieren Hotelübernachtungen, wenn es uns nicht mehr gibt, geht es anderen schlechter», so Liembd. Er wolle in Zukunft nie mehr für die wirtschaftliche Anerkennung der Kultur kämpfen müssen wie während der Corona-Krise.
Unterschiedliche Einnahmequellen
Beim Blues Festival werden 10 Prozent des Budgets mit Ticketeinnahmen generiert, 15 Prozent sind Kulturgelder, 75 Prozent Sponsorengelder. Beim Le Théâtre wird ein Viertel des Budgets für die Musicalproduktion im Winter über Sponsoren generiert, der Rest mit Ticketeinnahmen. Und bei der Schüür werden die 250 Konzerte mit den Einnahmen von
30 Partys finanziert. Das Problem nun: Bei der Berechnung des finanziellen Schadens in der Krise werden die Einnahmen der Partys nicht angerechnet. «Das heisst, unsere Querfinanzierung funktioniert nicht mehr», sagt Marco Liembd. Würde man bei der Schüür rein wirtschaftlich denken, würde man aktuell mehr Partys anstatt Konzerte organisieren. «Partys boomen momentan», weiss Liembd. Weshalb macht er dies also nicht? «Machen wir eine Party, bezahlen wir nur einen DJ, bei einem Konzert profitieren mehrere Musikerinnen und Musiker», erklärt Liembd. Es gibt aber noch einen anderen Grund: «Wir getrauen uns auch nicht», gibt Liembd zu. Denn der Geschäftsführer schätzt die Konzertbesuchenden doch etwas vernünftiger ein als das Partyvolk. «Würden wir Partys organisieren, würden wir wohl nicht mehr ohne Übertragungsfall dastehen», sagt er.
Marcel Habegger