Nischen zum Klingen bringen

Seit 100 Tagen ist Letizia Ineichen im Amt. Es gab noch keinen Tag, an dem sich die Kulturchefin nicht mit Corona beschäftigen musste. Im «Anzeiger»-Gespräch blickt sie dennoch vorwärts – und zurück.

Letizia Ineichen ist seit Anfang Jahr die Leiterin Sport und Kultur der Stadt Luzern. Bild: Bruno Gisi

Letizia Ineichen lanciert die Analyse der Covid-Lage mit Optimismus: «Gopf! Chapeau! Ich staune ab der grossen Eigendynamik, der Kreativität, dem Willen zu optimieren und neu zu strukturieren in der Welt der Kunst und des Sportes.» Durch die ständige Verschiebung des Neubeginns entwickle sich aktuell so etwas wie eine pandemiefähige Kultur. Natürlich ist der Spruch, Corona ist auch eine Chance, zynisch, aber Ineichen zeigt sich überzeugt, dass kreativ Nachhaltiges bleiben wird. Hybride Formate und Traditionelles neu denken sind die verwendeten Umschreibungen. «Der Kulturbegriff entwickelt und moduliert sich», sagt sie. Corona wirke da wie ein Beschleuniger. Aktuell ist Ineichens Departement gefragt in der Not. «Wir schauen, wo Dellen entstehen, trotz Bundes- und Kantonsgeldern», meint Letizia Ineichen. «Da suchen wir das Gespräch und springen notfalls ein.» Die Mittel müssen mittels Stadtratsbeschluss oder vom Parlament sanktioniert werden. Begeisterung in der Stimme zeigt Letizia Ineichen bei der Bewertung des eben vom Grossen Stadtrat beschlossenen Nachtragskredites für Kultur und Sport zum Ausgleich der ausbleibenden Billettsteuergelder. «Mit 43 zu null stimmen, das ist doch bezeichnend!». 3,7 Millionen Franken stehen zur Verfügung.

 

In grösseren Gefässen denken

«Covid eignet sich nicht mehr für politische Spielchen und zudem zeigt dieser Entscheid, wie tief der Sport und die Kultur in unserer Bevölkerung verankert ist», sagt die neue Leiterin. «Was bleibt, sind die Zentrumslasten, die uns fast erdrücken.»

Die Angebote der grossen Kulturhäuser werden von allen Agglo-Gemeinden genutzt, beim Bezahlen schaut aber jeder nur in die eigene Kasse. Dennoch zeigt sich Letizia Ineichen zuversichtlich: «Es braucht manchmal eine Runde mehr. Ich hoffe, man beginnt diesbezüglich in grösseren Gefässen zu denken.» Dieses Anliegen übernimmt Letizia Ineichen von ihrer Vorgängerin Rosie Bitterli Mucha, die 20 Jahre diese Funktion bekleidete.

Letizia Ineichen spricht begeistert, wenn sie die Arbeit ihrer Vorgängerin und den Zustand ihres Ressorts beschreibt. «Rosie Bitterli hat ein unglaublich gutes Netzwerk geschaffen.» Die Mitarbeitenden seien höchst motiviert, das Arbeitsumfeld behage ihr sehr.

Als Ineichen ins Amt gehoben wurde, kamen aus der politisch traditionell links verorteten Kulturecke Fragezeichen, ob eine bürgerliche CVP-Politikerin in der Lage sei, die Anliegen Kulturschaffender zu vertreten. Die klassisch ausgebildete Musikerin und Pädagogin wurde gar gefragt, ob sie nicht zu viel Nähe zum KKL habe für das Amt. Darauf angesprochen, reagiert Ineichen heftig: «Ich mag diese Diskussion nicht mehr führen, ich finde es daneben, meine Funktion in einem Links-Mitte-rechts-Schema zu sehen.» Kultur und Sport werde von Linken nicht besser oder anders gestaltet wie von Bürgerlichen. Es gehe um die Sache und um die Abzeichnung aller Meinungen der Gesellschaft im kulturellen Angebot. Ineichen bezeichnet sich als dialogfähig, was sie im journalistischen Gespräch auch beweist. Sie findet immer die ausgleichende Antwort, fragt nach, setzt immer das Anliegen und nicht ihre Person an den Anfang einer Aussage. Dies zeigt Letizia Ineichen auch bei der Definition «Was ist Kultur?». Sie lässt sich auf keine Schlagworte festlegen, Vielfalt und Qualität müssen gewährleistet sein. Ineichen schliesst auch Laienproduktionen in ihren Kulturbegriff ein sowie kommerzielle Produktionen, die viel Publikum anziehen. «Eine Schlagerparty ist für ein bestimmtes Publikum genauso kulturell wie ein klassisches Konzert für ein anderes.» Die städtische Förderungspolitik müsse dies berücksichtigen, aber dennoch vor allem die Nischen zum Klingen bringen.

 

Nicht endende Liste

Die Vergabekriterien für Unterstützungen seien immer in einem Spannungsfeld. Sie müsse auch über den eigenen Schatten springen, was ihr keine Mühe bereiten würde, es gehe immer um die Sache und nicht um persönliche Gefühle. Auf ihren Bezug zum Sport angesprochen, bringt Ineichen ihre Jugend ins Spiel: «Ich bin in Marbach aufgewachsen. Wie kann man dort die Freizeit verbringen? Mit Musik oder Sport. Ich habe beides gemacht.»

Im Rahmen ihrer pädagogischen Ausbildung und Arbeit als Primarlehrerin war Sport Dauerthema. Die Musik nahm dennoch mehr Platz ein. Klavier, Querflöte, Gesang, Schlagwerk, Gitarre, Harfe und am Rand noch ein bisschen Blechblasinstrumente. Die Liste der praktizierten Musikdisziplinen will nicht enden. «Ich bin keine Einzelkämpferin, ein Solodiplom als Musikerin kam nicht in Frage, also studierte ich Dirigieren und Schulmusik, ich wollte einer Formation vorstehen.» Nach dem Musikstudium, einem landesweiten Musikprojekt in Paraguay und Jahre der pädagogischen Arbeit folgten ein Master in Business Administration an der Hochschule Luzern und eine Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dazu eine politische Karriere, die sie ins Vizepräsidium der CVP der Stadt Luzern brachte. Wer mit Letizia Ineichen über Kultur- und Sportförderung diskutiert, merkt, in allen Aussagen die Breite des Hintergrundwissens. Das gibt ihren Meinungen zusätzliches Gewicht. Luzern darf auf ihr prägendes Wirken in kommenden Jahren gespannt sein.

Andréas Härry

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