«Nein, ich bin kein Roboter - vermutlich jedenfalls»

Ein Text von Philosoph Rayk Sprecher anstelle einer Vorstellung von «Stand-up Philosophy» im Kleintheater Luzern.

Für einmal philosophiert Rayk Sprecher aus dem Homeoffice statt von der Kleintheater-Bühne. Bild: PD

Auf der Suche nach Information und Kaufbarem muss ich in den Weiten des Internets ständig nachweisen, kein Roboter zu sein. Lange war ich davon überzeugt, die richtige Auskunft zu geben. Aber nach unzähligen Wiederholungen kamen irgendwann Zweifel auf. Bin ich wirklich kein Roboter? Und warum muss eigentlich ich irgendwas nachweisen? Sollen doch die Roboter belegen, keine Menschen zu sein! Aber ich will ja nicht so sein und tue weiter mein Bestes.

Die einfachste Variante ist ein simples Häkchen bei «Ich bin kein Roboter». Eigentlich sollte das ein Roboter ja auch können, aber noch scheint es mit der KI nicht so weit her, dass er das begriffen hätte. Irgendwie beruhigend, finde ich. Stufe zwei besteht in der Aufgabe, eine unleserliche Zeichenfolge leserlich nachzuvollziehen. Brav gab ich «hfnhv», «munpr» und «smwm» in die Tastatur ein und rätselte, welche verschlüsselten Botschaften da wohl dahinterstecken. Ich vermute, es sind Beleidigungen der Roboter uns Menschen gegenüber. «Häufig fehlt noch Hirn» zum Beispiel oder «mega ungepflegtes nassforsch-psychotisches Restrisiko». Im Sinne des Service public dürfen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich gerne für die dritte Zeichenfolge selbst eine Beleidigung ausdenken.

In der schwierigsten Variante schliesslich muss ich Memory spielen und undeutliche Bildchen ankreuzen: Inzwischen kenne ich Lastwagen-Memorys, solche mit Fussgängerüberwegen, Brücken, Verkehrsschildern und schliesslich mein Lieblingsrätsel: «Geschäfte von vorne». Ob von schräg unten erlaubt ist, wurde mir nie ganz klar, seitwärts jedenfalls ist ausgeschlossen. Damit wird endlich eine der grossen Fragen der Philosophie gelöst: «Was ist der Mensch?» Der Mensch nämlich ist jenes Wesen, das Geschäfte von vorne erkennen kann. Punkt und erledigt, sogar noch rechtzeitig vor Weihnachten!

Leider bin ich Philosoph und dachte darüber nach. Inzwischen weiss ich, man sollte das lassen, denn genau dann wird es meist kompliziert: Zum Menschsein gehört auch die Fähigkeit zu lügen, also bewusst etwas zu behaupten, wovon man selbst nicht überzeugt ist, in der Absicht, ein Gegenüber zu täuschen. Müsste der Test also nicht gerade darin bestehen, jene Bildchen auszuwählen, auf denen keine Brücke ist, um sich vom Roboter zu unterscheiden?

Absurderweise prüft ja ein Roboter, ob ich die Vorgabe des Menschseins erfülle. Wenn der aber weiss, dass ich dies genau durch die falschen Angaben perfekt erfülle, ist die Täuschung nicht erfolgreich, die Lüge misslungen, der Nachweis futsch, und mir wird der Kauf verweigert. Das ist vielleicht gut für meinen Geldbeutel, aber logisch problematisch. Und falls auch Sie nicht mehr mitkommen, teilen Sie das mit dem Roboter am anderen Ende, also Ziel erreicht?

Leider musste ich lesen, dass der Wettlauf schon verloren ist: Roboter können die Rätsel inzwischen auch lösen. Mein Vorschlag daher: den Schwierigkeitsgrad steigern! Denken Sie zum Beispiel an folgende Aufgabe: «Klicken Sie auf alle Bilder, auf denen der Roboter am anderen Ende vermutet, dass Sie zwar eine Brücke erkennen, Sie sich aber nicht ganz sicher sind oder Ihre Menschlichkeit damit beweisen wollen, dass Sie nicht zugeben, dass es Brücken sind – die Aufgabe aber vielleicht trotzdem richtig lösen, weil Sie ja nicht so sein wollen.» Wer das lösen kann, muss einfach ein Mensch sein! Oder ein wirklich guter Roboter. Und dann ist es ehrlich gesagt auch egal.

Anzeige

 

Box: Autorenangabe
Rayk Sprecher präsentiert zusammen mit seinen Kollegen Yves Bossart und Roland Neyerlin das Format «Stand-up Philosophy» im Kleintheater. Die beliebte Reihe wäre am 2. Dezember zu Gast im Planetarium gewesen. Da das – Corona-bedingt – nicht geht, schreibt er aus Frust Texte wie diesen. Und er glaubt unablässig daran, dass alles besser wird. Vermutlich jedenfalls. Die nächste Folge von «Stand-up Philosophy» findet am 19. Mai 2021 statt.

Weitere Artikel zu «Kultur», die sie interessieren könnten

Kultur26.02.2024

Eine Rock-Oper im Luzerner Theater

Die Neukomposition von Samuel Pender­bayne erzählt Richard Wagners «Siegfried» als Coming-of-Age-Geschichte.
Kultur26.02.2024

Schuberts grenzensprengendes Meisterwerk

Am 3. März sind im «Schweizerhof Luzern» Solisten der Festival Strings Lucerne mit einem kontrastreichen Programm zu hören, welches Franz Schuberts berühmtes…
Kultur19.02.2024

Träumst du noch, oder scheiterst du schon?

Beim ersten häuserübergreifenden Festival können die Besucher:innen von 22. bis 25. Februar unterschiedliche Veranstaltungen im Zeichen einer positiven…