Mit Bass und Violine-Star

Das personell aufgestockte Luzerner Sinfonieorchester zeigte bereits am ersten Abend unter Michael Sanderling seine neuen Möglichkeiten. Highlight des Konzertes war die Solistin an der Violine.

Michael Sanderling hatte eine erfolgreiche Premiere, das Highlight des Abends war jedoch Solistin Julia Fischer. Bild: Sinfonie Orchester

Wer Pop- und Rockmusik als musikalische Grundlage in sich trägt, würde es so formulieren: Da hat am Mischpult jemand kräftig an den Bässen geschraubt. Schauplatz war am Mittwochabend aber kein Club, sondern der KKL-Konzertsaal, der heilige Halle der Klassik. Da wird nicht geschraubt, sondern nur über menschliche Kraft und Fingerfertigkeit am Ton des Orchesters gefeilt.

Im Falle des Luzerner Sinfonieorchesters wurden die Stammgäste an der Saisonpremiere letzten Mittwoch regelrecht überfahren, und zwar auf positive Art. Der kräftige Zusatz-Beat im ausgebauten Bassbereich des Streicherensembles – Celli und Kontrabässe – entfaltet seine packende Wirkung unüberhörbar in den Werken der Spätromantik, die an diesem Abend interpretiert wurden.

 

Differenzierte Kraft

Ein sehr zahlreiches, bestens aufgelegtes Publikum erlebte das LSO 2.0, ein personell verstärktes, unter neuer Leitung agierendes Orchester mit offenkundig erweiterten Möglichkeiten. Intendant Numa Bischof hatte es angekündigt: «Das Luzerner Sinfonieorchester hat globale Qualitäts- und Image-Ambitionen.» Der Mann, der das bewerkstelligen soll, ist der neue Chefdirigent Michael Sanderling, der am Premierenabend bewies, dass er keine Aufwärmphase braucht, um das angestrebte Ziel anzusteuern. Das vergrösserte Orchester klingt in allen Registern formidabel, transparent, virtuos, mit Spezialapplaus fürs Blech, das in der siebten Sinfonie von Anton Bruckner in exponierten Solopassagen eine lässige, differenzierte Kraft und Präzision entfaltete. 

Das 1884 vom österreichischen Komponisten uraufgeführte Werk ist auch für andere Instrumentengruppen eine Challenge, zeichnet sich das Werk doch durch Spezialitäten aus, wie auffallend lange Unisono-Passagen der Streicher. Bruckner reiht in seiner Musik auf fast opernmässige Art Motive aneinander, vielfach nur kurz, selten ausgespielt. Für Kenner dieser Musikepoche fällt sofort die Nähe zum Meister dieser Kompositionsart auf, Richard Wagner. Man kassiert keine bösen Bemerkungen der Bruckner-Fans, wenn man Ähnlichkeiten in der Partitur anspricht. In einer Passage kommt «Lohengrin» schon fast um die Ecke, ein andermal «Die Meistersinger von Nürnberg» oder «Siegfried». Die Bewunderung Bruckners für das Werk Wagners ist verbrieft.

 

Freudige Entdeckung

Spezifisch ist aber der Genuss, den Bruckner in seiner Komposition bei der Wahl der Tempi legte. Ein Allegro wäre an anderer Adresse höchstens ein Moderato, ein Andante ein klares Largo. Michael Sanderling zeigte auch keine Ambitionen, frühzeitig nach Hause gehen zu wollen, und kostete die epischen Möglichkeiten dieser Musik aus. Im ersten Teil des Konzerts erlebten die KKL-Besuchenden, zumindest sicher ein grosser Teil von ihnen, eine freudige Entdeckung.

Josef Suk (1874–1935) war der Schwiegersohn von Antonín Dvořák. Die Fantasie g-Moll op. 24 für Violine und Orchester hat auch in Passagen die slawische Farbe des tschechischen Nationalkomponisten, ist aber verspielter und teilweise dichter instrumentiert, ohne jemals ins atonale zu kippen. Es geht alles herrlich leicht ins Ohr, und man fragt sich, warum Suk nicht öfters gespielt wird bei uns. Vielleicht eben wegen der Tatsache, dass die Zeitgenossen des Tschechen bereits die Grenzen des Tonalen gesprengt haben, als mutiger gelten. Dass diese Fantasie den Premierengästen nachhaltig in Erinnerung bleiben wird, hat auch und vor allem mit der Solistin an der Geige, Julia Fischer, zu tun. Die 38-jährige Tochter eines Mathematikers wurde ihrem Ruf als herausragende Weltklasseviolinistin in allen Facetten ihres Musizierens gerecht. Mit einer grossartigen Leichtigkeit absolvierte sie die Tücken der Komposition. Episch lange Oktaven-Doppelgriffe kamen präzis und klanglich auf den Punkt vom Instrument. Schnelle Läufe erklangen leicht und luftig, getragene Passagen bekamen nie zu viel Druck ab. Das Publikum klatschte die Deutsche in eine Paganini-Zugabe, ohne Begleitung – grandios auch dieser Moment.

Andréas Härry

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