Ein wohltuend unverrückter Abend

Die grosse Livemusik ist zurück. Voller Dankbarkeit erlebte ein pandemiebedingt kleineres Publikum im KKL einen Abend mit grosser bekannter Musik und angenehm bescheiden gehaltener Rhetorik.

Im KKL durften zur Eröffnung lediglich 1000 Personen Platz nehmen. Outdoor gab es weitere Plätze mit deutlich lockererem Dresscode. Bild: Manuela Jans/ Lucerne Festival

Megafone, Trillerpfeifen und Schläuche dürften bis anhin vielleicht im Rahmen einer Feuerwehrübung auf der Spielfläche des Konzertsaales im KKL aufgetaucht sein. Am letzten Freitag waren diese Requisiten Teil der Eröffnungsfanfare, dem Startschuss des diesjährigen Lucerne Festival. Claudio Monteverdis Gonzaga-Fanfare aus dem «Orfeo», gespielt von sieben Bläsern und drei Trommlern, wurde damit schroff abgeschlossen. «Damit das Ganze nicht zu lang wird», begründete mit Augenzwinkern LF-Intendant Michael Haefliger den kakofonischen Einsatz, bei dem er sich selbst handgreiflich ins Geschehen einbrachte.

Ein Intro, das musikalisch zum diesjährigen Motto des Festivals «Verrückt» überleitete. Zumindest anders waren die obligaten, folgenden Ansprachen. Markus Hongler, der neue Präsident des Lucerne Festivals, und Michael Haefliger präsentierten die verrückten Highlights des kommenden Festivals in einem wohlgeübten, aber sympathischen, rhetorischen Pingpongspiel. «Zwei-, dreimal mussten wir das Programm neu konzipieren», gestand Intendant Haefliger, die einzige Konstante von Kulturproduzierenden in diesen Zeiten.

 

Mental gesund

Bundespräsident Guy Parmelin sorgte für die Schmunzler des Anlasses, indem er die Verrücktheit seiner eigenen Zunft, den Politikern, sarkastisch kommentierte. Die in Bern gäben durchaus hin und wieder Grund, dass man an ihrer mentalen Gesundheit zweifeln könne. Er schliesse sich selbst – natürlich – aus dieser Betrachtung ausdrücklich aus. Quasi serviert wurden mit diesem Festivalmotto die Allegorien zur Grenze zwischen Genie und Wahnsinn, vorab in der Musik. Der Dauerbrenner aller Ansprachen war natürlich Corona, das sicher verrückteste und leider auch ein prägendes Element am diesjährigen Festival. Wenn das Virus irgendetwas Gutes am LF bewirkt, dann hörte man es an diesem Abend: Weder Haefliger/Hongler noch Parmelin griffen rhetorisch zu den ganz grossen Sprüchen. Der in früheren Jahren fast exzessiv zelebrierte «Wir sind wir»-Pathos an den Eröffnungsabenden fehlte vollständig. Das passte zum Ambiente im Saal, nur 1000 Leute mit viel Abstand, prominent, wichtig oder auch nicht, die einfach heidenfroh waren, wieder einmal Kultur geniessen zu dürfen. 

Denn ja, das unbestrittene Highlight des Abends startete, als Maestro Riccardo Chailly den Dirigentenstab hob. Endlich wieder grossartige Live-Klassik-Musik. Das Programm des Eröffnungsabends war alles andere als verrückt – und das war gut so. Nach dieser kunstlosen, surrealen Zeit lechzte das Publikum geradezu nach Bekanntem, wohlig im Ohr Klingendem. Mit der Ouvertüre zur Oper «Don Giovanni» und der Sinfonie Nr. 40 g-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart wurde diese Prämisse erfüllt. Der erste Satz der Sinfonie, das Molto Allegro, gehört ja zu den meistgespielten Klassikwerken überhaupt, dazu natürlich die unbestrittene Nr. 1 der Mozart-Hitparade. Chailly wollte wohl den Genuss für sein Publikum zeitlich noch etwas strecken und ging insbesondere das Andante sehr molto an. Im letzten Satz, dem Allegro Assai, wurde die Klasse des Lucerne Festival Orchestra wieder einmal glanzvoll demonstriert in den heiklen Unisono-Passagen.

 

Aus tiefstem Herzen

Die Differenziertheit, Luftigkeit und Souveränität, insbesondere des Streicherensembles, kam vollends zur Geltung in der abschliessenden Sinfonie Nr. 6 C-Dur von Franz Schubert. Diese ist zwar nicht so populär wie die Fünfte in B-Dur, erfreut aber dennoch mit vielen Markenzeichen des Komponisten. Im Allegro moderato dürfen die Geigen, Schubert-typisch, in herrlich leichtfüssigen und ebenso schnellen Läufen, glänzen. Der Spass an dieser Musik war den Interpretierenden ins Gesicht geschrieben. In dieser Sinfonie schlug Chailly denn auch übliche Tempi an. Das Publikum bedankte sich für diesen stimmungsvollen, der aktuellen Lage bestens adaptierten Abend mit langem Applaus, der – ein Blick in die Ränge bestätigte den Eindruck – zum Teil aus allertiefstem Herzen kam. Trotz Festivalmotto qualifizierte sich diese Eröffnung als wohltuend unverrückt. Das richtige Konzept nach anderthalb Jahren Live-Kultur-Diät.

Andréas Härry

 

Box: Vier Wochen
Das Lucerne Festival dauert bis 12. September. Über 100 Konzerte und Events sind programmiert. Das Festival findet im «2/3-Konzept» statt, die Platzzahlen sind beschränkt. Informationen und Karten: www.lucernefestival.ch

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