Bühnenstars mit Lehre
Traumberuf: Musicaldarsteller. Für Bühnen-Talente gibt es jetzt die Möglichkeit, eine Lehre mit eidgenössischem Fähigkeitsausweis zu absolvieren. In Luzern an der Musicalfactory. Co-Leiterin Barbara Zimmermann erklärt Chancen und Bedingungen.
Was ist Ihre Motivation, eine staatlich sanktionierte Lehre anzubieten?
Die Schweiz liebt Musicals. Jährlich steigt die Nachfrage nach Tänzerinnen und Tänzern mit erweiterten Kompetenzen. Immer öfters wird für hiesige Eigenproduktionen auch Schweizerdeutsch verlangt. Für diesen Markt fehlte die eidgenössisch anerkannte Grundbildung. Vergleichbare Lehrgänge werden heute einzig in den Niederlanden und in London angeboten. Musicalausbildungen in Deutschland und Österreich setzen den Schwerpunkt auf Gesang und Schauspiel. Junge Lokaltalente müssen bis anhin ins Ausland, hohe Semestergebühren tragen und haben nicht die Option, die Berufsmatura zu absolvieren. Diese Lücke schliessen wir.
Wie lange dauerte der Prozess, bis Ihre Schule die Genehmigung für diesen Lehrgang bekam?
Nach Anläufen an der Musikhochschule Luzern und der ZHDK Zürich haben wir im Mai 2017 Danse Suisse angefragt, ob man nicht im Rahmen der Bildungsrevision der seit 2009 existierenden Berufslehre zum/zur BühnentänzerIn EFZ eine Fachrichtung Musical/Show ins Leben rufen könnte. Dies wurde positiv aufgenommen. Seit 2018 sind wir in den Revisionsprozess miteingebunden. Die Bildungserlasse treten Anfang 2021 in Kraft.
Was sind die Grundvoraussetzungen für eine Aufnahme?
Verlangt wird eine solide Grundausbildung im Tanz, Ballett, Jazz, Hip Hop und/oder Contemporary. Erfahrung in Gesang oder Schauspiel sind nicht unbedingt nötig. Interessierte sollten ein Lied und einen Monolog vortragen können und Musikalität und Spiellust vorweisen.
Besteht nicht die Gefahr, dass Sie als private Schule Lernende aufnehmen, damit sie Einnahmen haben, die im selektiven Bühnenbusiness nicht bestehen?
Wir haben mit dem Kanton Luzern und Danse Suisse eine maximale Anzahl Lernende definiert. Kandidaten, bei denen Grundvoraussetzungen nicht vorhanden sind, werden nicht aufgenommen. Dies stellt eine Jury mit externen Experten sicher. Bisherige Erfolgsgeschichten der Musicalfactory belegen eine hohe Ausbildungsqualität. Seit 2006 nahmen rund 90 Schüler/Innen am Berufsvorstudium-Programm teil. Davon sind über 70 an weiterführende Hochschulen gegangen und sind nun auf den Bühnen tätig.
Was für eine finanzielle Belastung erwartet die Lernenden?
Die Ausbildungskosten werden vom Wohnkanton übernommen.
In welchen Fächern wird unterrichtet?
Der Fokus wird auf den Tanz gelegt. Ballett, Jazzunterricht, Contemporary, Stepptanz, Hip-Hop und Akrobatik. Daneben fördern wir individuell Gesang und Schauspiel, sowie den Aufbau eines persönlichen Musical-Repertoires. Dazu kommen die Förderung der mentalen Stärke und Leistungsfähigkeit. Die Ausbildung wird durch theoretische Grundlagen in Tanz- und Theatergeschichte, Musiktheorie und Anatomie ergänzt. In der Berufsschule erhalten die Lernenden allgemeinbildenden Unterricht. Begleitend besteht die Möglichkeit, eine Berufsmatura zu absolvieren.
Auffallend ist der niedrige Stellenwert des Gesangs in der Ausbildung.
Das Verhältnis ist 70% Tanzunterricht, 15% Gesang und 15% Schauspiel. Dies ist auch bei international renommierten Musicalschulen so. Gesang wird mit dem Ziel unterrichtet, chorisch im Ensemble bestehen zu können. Natürlich lernen sie auch Songs solistisch vorzutragen, schauspielerisch zu interpretieren, für Auditions. Bei Beginn der Berufslehre ist die Stimme meist noch nicht gefestigt, eine professionelle solistische Gesangsausbildung verfrüht. Diese kann in einem Bachelor-Studiengang bei entsprechender Eignung absolviert werden.
Fehlt nicht das kaufmännisches Grundwissen, die ein meist selbständiger Künstler sich aneignen sollte?
Dieser Aspekt kommt in der Tat in vielen Lehrgängen der darstellenden Künste zu kurz. Mit Markus Dinhobl, Produzent der Thunerseespiele als Dozent für das Fach Berufskunde werden die Lernenden praxisnah auf den Berufsalltag aus wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialer Sicht vorbereitet. Wenn Lernende sich für die Berufsmatura entscheiden, wird Fachwissen im Lehrgang Wirtschaft und Dienstleistungen vermittelt.
Was für Qualifikationen müssen Lehrpersonen für diesen Studiengang mitbringen? Tanzlehrer ist keine geschützte Berufsbezeichnung.
Eine Lehrperson muss Voraussetzungen kumulativ erfüllen. Eine Berufsausbildung für Bühnentanz mit Abschlussdiplom einer anerkannten Institution und/oder mindestens vier Jahre professionelle Bühnenerfahrung. Dazu der Abschluss einer tanzpädagogischen Ausbildung und eine mindestens vierjährige tanzpädagogische Erfahrung. Zuletzt muss der Pädagoge im Berufsregister von Danse Suisse eingetragen sein.
Wie wird der praktische Teil der Ausbildung gestaltet?
Dank Zusammenarbeiten mit schweizerischen Musicalstandorten werden die Lernenden in Praktika Bühnenerfahrungen sammeln. Sie erhalten Einblicke in professionelle Produktionen und arbeiten mit Regieteams und renommierten Musicaldarstellerinnen und -darstellern.
Wenn Lernende Ihre Schule mit Abschluss verlassen, was folgt?
Ziel ist der direkte Berufseinstieg in Musicalproduktionen, Show Acts, Commercials, Movie, TV oder Touristik Entertainment. Zudem stehen den Lehrabgängern die Türen für höhere Fachschulen und Bachelor-Studien im künstlerischen und pädagogischen Bereich offen.
Wäre es nicht gescheiter, wenn junge Leute zuerst einen „bürgerlichen“ Beruf erlernen oder die Matura machen, und anschliessend ins Showbusiness gehen, anstatt voll auf das volatile Gewerbe zu setzen?
Wie bei jedem Leistungssport braucht es beim Tanzen bereits in jungen Jahren tägliches, hochwertiges Training um konkurrenzfähig zu sein. Fängt man erst nach der Matura an ist es praktisch unmöglich, auf internationales Niveau zu kommen. Die neue Berufslehre ist im schweizerischen Bildungssystem eingebunden. Alle ist möglich mit EFZ oder Berufsmatura, wenn sich Lehrabgänger umorientieren wollen.
Wie viele Schülerinnen und Schüler erwarten Sie pro Schuljahr?
Unser Ziel ist es, im August 2021 mit 14 Lernenden zu starten.
Nachgefragt bei Daniel Preckel, Leiter Schulische Bildung beim Kanton Luzern:Was waren die Gründe, der Musicalfactory die EFZ-Ausbildung zu ermöglichen? Die Ausbildung Bühnentänzer/In EFZ Fachrichtung Musical ist ein vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation neu erlassener Beruf. Die Kantone sind grundsätzlich in der Pflicht, dafür Bildungsangebote zu schaffen. Der Branchenverband Danse Suisse unterstützte die Bewerbung der Musicalfactory. Keine weitere Schule aus einem anderen Kanton hat sich beworben. So haben wir der Institution eine Bildungsbewilligung als Lehratelier erteilt, die an umfassende Qualitätsanforderungen geknüpft ist. Musicaldarsteller/In ist ein Nischenberuf in einem harten Arbeitsmarkt. Nur wenige reüssieren. Ist es Aufgabe des Kantons, Mittel in ein solches Berufsumfeld zu investieren? Die Lernenden müssen ein hohe Disziplin und Leistungsmotivation mitbringen. Es gibt keine Erfolgsgarantie. Die Fachrichtung Musical ist im Vergleich zu Bühnentanz vielfältiger, sie kann eine Option sein für Lernende, die Stärken nicht nur im klassischen Tanz, sondern auch im Schauspiel und Gesang mitbringen. Die Fachrichtung ist weniger verletzungsanfällig, hat weniger strengere Auflagen in Bezug auf das Gewicht, die beim Bühnentanz aufgrund der körperlichen Entwicklung zu Lehrauflösungen führen kann. Wie bei anderen Berufsbildungen erfolgt die Finanzierung via Schulgeld, weitere staatliche Subventionen gibt es nicht. Es handelt sich um einen normalen Beruf, es ist legitimierte Aufgabe des Staates die Ausbildung zu finanzieren. Der Erfolg der Schweizer Berufsbildung ist es, dass die Berufsverbände die Art und Inhalte der Berufe definieren, der Bund die Berufe reglementiert und die Kantone die Bildungsangebote schaffen und finanzieren. Da Danse Suisse aufzeigen konnte, dass es auch einen Arbeitsmarkt für Musicaldarsteller/Innen gibt, gehen wir davon aus, dass dieser Beruf sich etablieren wird. |
Andréas Härry