Backen und Buchhaltung

Die Theater- und Konzertwelt ist gegroundet. Die Star-Sopranistin Regula Mühlemann schöpft aus dieser Zeit positive Energien und widmet sich Tätigkeiten, die nichts mit Musiknoten zu tun haben.

Eine Sängerin wird zur Bäckerin: Regula Mühlemann, Bild: Regula Mühlemann

Regula Mühlemann, wie langweilig ist es Ihnen schon? So lange am Stück waren Sie in den letzten Jahren nie mehr zu Hause.
Ja, das ist eine Weile her. Und: Nein, es ist mir nicht langweilig. In normalen Zeiten komme ich nach Hause, «schletze» mein Zeugs in eine Ecke, bin gedanklich schon wieder am Verreisen. Das ist aktuell anders. Ich habe Zeit, zu Hause «in die Tiefe» zu gehen, mich Dingen intensiv und kreativ zu widmen. Aber natürlich vermisse ich viel aus meiner Arbeit, so den Kontakt zu anderen Musikern.

Wie verbringt ein Opernstar den Tag zu Hause? Er übt sehr viel.
Keinen Ton! (Lacht.) Ich hatte sehr viele Auftritte von November bis Februar, eigentlich zu viele. Zudem habe ich intensiv an meiner Gesangstechnik gearbeitet, neue Dinge für mich entdeckt. Es war eine sehr heftige Zeit. So habe ich aktuell auch kein schlechtes Gewissen, lasse mich treiben und möchte wieder richtig Lust aufbauen für Kommendes.

Der Zeitpunkt dieser Krise ist für Sie somit «ideal»?
Nein, natürlich nicht. Täglich treffen Hiobsbotschaften aus unserer Branche ein, die auch mich betreffen. So wurden unter anderem Konzerte in Berlin, Stockholm, Paris und Stavanger abgesagt. Letzteres auch schade, weil ich zwei Wochen Ferien in Norwegen angehängt hätte. So finden meine Ferien in Luzern statt.

Zurück zu Ihrem Tagesprogramm ...
Ich geniesse es, nicht effizient sein zu müssen. Mein Leben in den letzten Jahren bestand aus der Erwartung, kaum angekommen, schon wieder fertig zu sein mit etwas. So gebe ich mich jetzt Beschäftigungen ohne Druck hin, erlaube mir, nach zwei Stunden diese zu unterbrechen und vielleicht erst morgen weiterzuverfolgen.

Musikalisches im weiteren Sinn?
Nein, die Buchhaltung zum Beispiel! Oder die Vertiefung meiner Kenntnisse über das Backen von Sauerteigbrot. Natürlich habe ich auch meinen Notenschrank ausgemistet und die Schublade, die jeder hat, mit den «Leichen», Dinge, die man in Normalzeiten aufschiebt. Es ist ein beglückendes Gefühl, am Abend ein sichtbares Resultat der Arbeit zu sehen. Das hab ich im Beruf nie. Wenn ich fünf Stunden lang eine Arie übe, ist das schön, aber eigentlich nicht greifbar.

Zwei Monate lang die Gesangsstimme herunterfahren, geht das?
(Lacht.) Wir werden sehen. Nein, da habe ich keine Bedenken. Klar, Singen ist wie Sport, es basiert auf Training. In den letzten Monaten habe ich teilweise bis sieben Stunden am Tag gesungen. Jetzt will ich diese Zeit für eine intensive Erholung nutzen. Ich bin aber auf einem Level, wo ich schnell die Mechanismen meiner Stimme wieder abrufen kann, die Muskeln mögen sich erinnern, wie es geht. Ich werde aber bei der Wiederaufnahme des Übens sicher schneller müde. Das ist kein Problem, unsere Branche wird wahrscheinlich eine der letzten sein, die hinaufgefahren werden, ich werde rechtzeitig erfahren, wann es so weit ist.

Hat eine Sängerin auf Ihrer Flughöhe eine Gesangslehrerin?
Natürlich, diese Person hat dieselbe Funktion wie beim Sport der Trainer. Ich brauche auch heute noch das Feedback meiner Lehrerin. Seit jeher ist das Barbara Locher. Auch wenn es in letzter Zeit mehr per Whatsapp als durch persönlichen Kontakt geschieht. Ausserdem habe ich einen Gesangscoach in Wien. Das, was man selbst wahrnimmt beim Singen, ist nicht immer dasselbe, was von aussen wahrgenommen wird. Das können ganz banale Dinge sein wie die Lautstärke. Da hilft das Ohr von aussen. Wichtig für mich ist aber auch die Selbstanalyse durch Ton- und Videoaufnahmen.
Ihre Stimme entwickelt sich weiter, wird lyrischer, erinnern wir uns an Ihre «Juliette» am Luzerner Theater vor einem Jahr.
Das ist ein natürlicher Prozess, wenn man es richtig angeht. Meine Stimmentwicklung soll mir helfen, auf einer grossen Bühne wie der Staatsoper in Wien bestehen zu können, ohne zu schreien. Mein Ansporn ist es immer, möglichst lange möglichst mühelos zu singen. Dazu kommt natürlich die klangliche Ästhetik. Zur Erklärung nehme ich Roger Federer. Aus jedem Schlag holt er die Kraft für den nächsten, ein Perpetuum mobile quasi. Andere Spieler müssen viel mehr Kraft für dasselbe Resultat aufbringen. Das lässt sich auf den Gesang übertragen. Der optimale Klang basiert auf einer optimalen Technik.

Anderes Thema: Ist eine Top-Solistin wie Sie finanziell abgesichert für Absagen, wie sie jetzt täglich eintrudeln?
Es gäbe eine Versicherung, aber niemand hat die, selbst die Top-Stars nicht. Die ist viel zu teuer. Nein, wir tragen das Risiko allein. Das kann böse Ausmasse annehmen. So ist es leider in unserer Branche Usus geworden, die Probenzeiten nicht mehr zu bezahlen, nur die Vorstellungen. Fallen wie jetzt die Aufführungen aus oder die Sängerin erwischt ein Virus, hat man den finanziellen Totalschaden. Stellen Sie sich vor, meine Auftritte an der Staatsoper Wien im Februar wären ausgefallen. Ein Vierteljahr habe ich mich darauf vorbereitet.

Ihr nächstes grosses Engagement wären die Salzburger Festspiele im August.
Salzburg entscheidet Ende Mai, ob sie spielen oder nicht. Das 100-Jahr-Jubiläum der Festspiele und zwei Luzerner in der «Zauberflöte», Mauro Peter als Tamino und ich als Pamina. Ich glaube nicht so recht dran, es wäre eine kleine Tragödie, wenn das nicht stattfindet.

Ihre Buchhaltung ist à jour, das Sauerteigbrot gebacken, was planen Sie als Nächstes in der Corona-Zeit?
Wenn die Wohnung dann auch noch blitzblank sauber ist, möchte ich mit meinem Freund doch aus dem Haus, in die Natur, bräteln gehen, vielleicht sogar mit einem befreundeten Paar. Ich muss diese Zeit als Quality Time nutzen, etwas Positives daraus ziehen. Wir werden so etwas ja nie mehr erleben, hoffentlich.

Andréas Härry

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