«Alles muss interessant sein»

Die Nachfolgerin von Benedikt von Peter stellt das Team und die Kooperation der Sparten in ihrem Haus in den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Für das neue Theater ermuntert sie die Luzernerinnen und Luzerner, gross zu denken.

Vor zwei Jahren wurde sie den Medien vorgestellt. Nun präsentierte Ina Karr ihr erstes Programm in Luzern. Bild: Ingo Höhn (Archiv)

Ina Karr, wo erreichen wir Sie zu diesem Zoom-Interview?
In Mainz. Mit einem Bein bin ich schon in Luzern, mit dem anderen noch in Deutschland. Nächste Woche folgt der grosse Umzug in die Schweiz mit der Familie, Klavier, vielen Noten, Büchern und CDs …

Wie neu ist für Sie unser Land?
Meine Oma war Schweizerin, insofern bin ich zu einem Viertel Schweizerin, bin in Süddeutschland aufgewachsen und verstehe grösstenteils Schwiizerdütsch. Meine Kinder, 13 und 15 Jahre alt, sind hingegen in Norddeutschland, in Oldenburg, gross geworden. Für sie sind Land und Sprache neu. Aber sie lieben die Berge, das Wasser, Hüttenwanderungen, Ski- und Fahrradfahren. Sie freuen sich auf das Leben hier.

Was kannten Sie von Luzern, bevor Sie am LT engagiert wurden?
Das Theater habe ich regelmässig besucht. Ich habe in Freiburg im Breisgau studiert, da war die Nähe zu Luzern gegeben, auch von meiner nächsten Station Mannheim. Das Lucerne Festival habe ich auch besucht. Luzern ist mir als Kulturstandort vertraut.

Haben Sie schon einen Luzerner Lieblingsort auserkoren?
Wenn man vom KKL stadtauswärts Richtung Wagner Museum (Tribschen, Anm. d. Red.) geht und sich der See plötzlich auftut: sehr spannend. Aber in erster Linie ist der Platz, auf dem das Theater steht, ein wunderbarer Ort.

Was war Ihr erster Gedanke, als Stiftungsratspräsidentin Birgit Aufterbeck Sieber Ihnen mitgeteilt hat: «Sie sind es.»?
Toll, ein Mehrspartenhaus. Ich bin eine überzeugte Mehrspartenaktivistin, arbeite seit 20 Jahren in solchen Häusern. Diese verschiedenen Ausprägungen und Sprachen von Theater unter einem Dach zu haben, sind für mich immer aufs Neue faszinierend. Ich liebe die Zusammenarbeit mit verschiedenen, grossen Ensembles. Entsprechend habe ich mir Spartenleiterinnen gesucht, die das mit mir leben wollen.

Jetzt übernehmen Sie hier nicht nur ein Haus, sondern wahrscheinlich bald eine der grössten Baustellen der Stadt.
Ich habe schon mehrere Umbauten von Theaterhäusern mitgemacht und betrachte das als Bereicherung meiner Arbeit, eine Möglichkeit, das Haus richtig in Bewegung zu setzen. Wir müssen raus aus dem Theater, dann wieder rein. Das wird anstrengend, aber eine Riesenchance.

Das Stimmvolk wird schlussendlich über den Bau entscheiden. Heisst das, dass Sie Ihr Programm bis zur Entscheidung dem breiten Volksgeschmack anpassen müssen, um das Projekt abzusichern?
Der Gedankengang muss grösser sein. Wichtig ist, dass sich ein Theater mit der Stadt verbindet. Das funktioniert zum Beispiel durch das eigene Ensemble, deren Mitglieder sich mit den Menschen draussen austauschen. Theater ist eine Kunst, die vom Energieaustausch lebt. Wir müssen im Gespräch bleiben. Nicht alles, was wir machen, muss gefallen, aber alles muss interessieren. Wenn es gefällt, freut sich natürlich unser Team, genauso wichtig ist es aber, Impulse zu bringen. «Die Komplizen der Vergangenheit» – das, was wir kennen – und der Gegenwart, das Neue, müssen ihren Platz haben, so entsteht Theater. Was ich mir wünsche, ist Neugier des Publikums.

Jetzt geht in Luzern die Diskussion los: Brauchen wir ein grösseres, teureres Theater? Was für Ambitionen darf und soll das LT haben?
Grundsätzlich: Es geht nicht vorab um grösser und teurer. Das aktuelle Theater muss aus baulichen und technischen Gründen ersetzt werden. Dann aber: Jedes Theater, jede Kunst sollte immer hohe Ambitionen haben. Kunst heisst auch, immer alles zu geben, was wir haben. Die Strahlkraft des Theaters soll über die Stadt-, Kantons- und Landesgrenzen hinausgehen. Dies generiert auch den entsprechenden Austausch ins Haus hinein. Ich möchte alle in Luzern ermuntern, gross zu denken und gross zu träumen.

Man spricht hier von den Spezifitäten der Ära Mentha, der Ära von Peter mit ihren offenen Räumen. Was soll das Markenzeichen Ihrer Ära werden?
Ich möchte, dass nicht nur über mich, sondern über die vielen Menschen gesprochen wird, die Personen auf und hinter der Bühne. Das ist ja das Grossartige an Theater, dass es nicht von einer Person allein gemacht wird. Das Luzerner Theater hat viele Gesichter, die in der Stadt präsent sein sollen. Die offenen Räume sind ein wichtiger Schritt, den Benedikt von Peter gegangen ist, der für mich als eine Selbstverständlichkeit weitergeführt wird. Wir werden gleich mit unserer ersten Produktion in die Stadt hineingehen. Wichtig sind für mich also starke Ensembles, das AutorInnen-Theater, das Zeitgenössische, und auch das Theater für Kinder und Jugendliche. Man sagt immer, sie seien das Publikum von morgen.  Der Ansatz muss aber sein: Sie sind unser Publikum jetzt. Also geht es darum, Werke für sie zu kreieren. Und zuletzt: Die einzelnen Sparten unseres Hauses – Musiktheater, Schauspiel, Tanz – sollen sich befeuern und nicht konkurrenzieren.

Sie stellen am Dienstag nach Redaktionsschluss das Programm Ihrer ersten Saison vor.
Die Überschrift über unsere Spielzeit ist «Bis zum Innersten». Wir wollen unser Publikum verführen, um es dann zu fordern, den Menschen Lust machen für eine Reise. Wir zeigen kraftvolle Geschichten, poetische Bilder, die Herz und Hirn ansprechen. Dies alles ist nach dieser Coronazeit wichtig. Wir haben grosse Stoffe, die grosse Fragen stellen. Dazu wollen wir das Zeitgenössische in die Herzen bringen. (Anm. der Red.: Das Programm der Saison 21/22 wird ab Dienstag, 10 Uhr, auf www.anzeiger-luzern.ch publiziert).

Jeder Luzerner Intendant hat früher oder später eine Regie übernommen am LT. Wann erleben wir Ihre Premiere?
(Lacht.) Das verspreche ich Ihnen, das mach ich nicht. Die Verbindung von Kopf und Herz ist für mich Theatermachen, das bündelt sich in der Leitung eines Theaters und in der Dramaturgie. Meine Expertise ist auch die Auswahl von Künstlerinnen und Künstlern für Luzern und die Arbeit mit Regisseurinnen und Regisseuren.

Was für eine Chefin sind Sie?
Denken macht Spass. Gemeinsam denken macht noch mehr Spass. Der Ausdruck teamorientiert ist dazu so ein Schlagwort. Ich höre zu, und zwar genau. Ich will anderen ihren Raum offenhalten, damit sie bestmöglich performen. Das bedeutet für mich aber auch, Aushalten, wenn jemand etwas anders anpackt, als ich das machen würde. Das ist ein Lernprozess, der die Theaterarbeit generell widerspiegelt.

Ein Mitarbeiter, Betriebsdirektor Stefan Vogel, ist Ihr Lebenspartner: Wie schaffen Sie es, zu Hause über anderes zu sprechen als übers Luzerner Theater?
Wir arbeiten schon sehr lange zusammen in dieser Konstellation, wir sind also geübt. Dazu haben wir Regeln. So wird am Küchentisch nicht über die Arbeit gesprochen. Ein sehr effektives und praktisches Korrektiv sind unsere Kinder, die schon mal sagen: «Jetzt wird nicht über Theater geredet.»

Andréas Härry

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